Entführung des Großfürsten
abt ihr Räuber nun erreischt?
Du Sohn des Glücks, Bellonas bester Krieger
(er meint Napoleon),
Du brachest ohne Zögern Treue und Gesetz
Und wähntest eitel disch als aller Welt Besieger –
Wo blieb dein Sieg, wo bist du jetzt?
20
Nach diesem Gedicht wird es das reinste Vergnügen sein, sich das Knarren der Räder zu merken. Nur nicht durcheinanderkommen. Nur nicht durcheinanderkommen! Heute ist unsere letzte Chance. Ich bin sehr nervös.«
Ja, ich sah, daß sich hinter ihrer gespielten Lebensfreude, hinter ihrem fröhlichen Geplauder tiefe Unruhe verbarg.
Ich wollte ihr sagen, daß ich große Angst um sie hatte. Denn Fandorin hatte ja erwähnt, daß Doktor Lind keine Zeugen zurückließ. Es würde ihm nichts ausmachen, die Botin zu töten, sobald er sie nicht mehr brauchte. Wenn man in den höchsten Sphären schon bereit war, den Großfürsten Michail zu opfern, wen würde da der Tod einer Gouvernante bekümmern?
»Ich hätte damals nicht hinter der Kutsche herlaufen sollen. Das war ein unverzeihlicher Fehler«, sagte ich schließlich auf russisch. »Sie müssen es jetzt ausbaden.«
Ich hatte etwas ganz anderes sagen wollen, und das Wort »ausbaden« kannte sie als Ausländerin bestimmt nicht. Doch Mademoiselle hatte mich bestens verstanden.
»Sie müssen keine Angst aben, Athanas«, sagte sie lächelnd. Zum erstenmal hatte sie mich beim Vornamen genannt, der in ihrem Mund einen kaukasischen Klang bekam. »Heute wird Lind misch nischt töten. Isch muß ihm morgen noch den ›Orlow‹ bringen.«
Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich mit Erleichterung daran dachte, mit welcher Gewißheit Frau Sneshnewskaja erklärt hatte, daß die Entführer den »Orlow« auf gar keinen Fall bekommen würden. Es war ein niedriges, unwürdiges Gefühl. Und ich erbleichte, als mir bewußt wurde, daß ich in diesem Moment den armen kleinen Gefangenen verriet, von dem sich ohnehin schon alle abgewandt hatten.Dabei bin ich doch stets der Meinung gewesen, daß es auf der Welt nichts Abscheulicheres gibt als Verrat. Ich halte es für die schlimmste Sünde, die kostbarsten menschlichen Gefühle – Liebe und Vertrauen – zu entweihen.
Mir wurde noch elender zumute, als mir einfiel, daß Herr Masa dieses japanische Wort zu mir gesagt hatte. Uri … ugrimono?
Ich hatte wirklich verantwortungslos gehandelt. Und als rechtschaffener Mensch mußte ich mich entschuldigen.
Nachdem ich der Gouvernante Erfolg bei ihrem schwierigen und gefährlichen Unternehmen gewünscht hatte, suchte ich den Japaner auf.
Ich klopfte an die Tür, vernahm einen undefinierbaren Laut und beschloß nach einigem Zaudern, ihn als »Herein« zu deuten.
Herr Masa saß auf dem Fußboden, nur in Unterwäsche – das heißt, in dem Dress, in dem ich ihn einmal die Wand hatte hochspringen sehen. Vor ihm lag ein Blatt Papier, auf das er mit einem kleinen Pinsel eifrig verschnörkelte Muster malte.
»Was gibt?« fragte er und blitzte mich mit seinen Schlitzaugen böse an.
Mich verletzte der grobe Ton, doch ich mußte die Sache zu Ende bringen. Mein seliger Vater hatte immer gesagt: Wahre Würde liegt nicht darin, wie andere mit dir umgehen, sondern wie du mit ihnen umgehst.
»Herr Masa«, begann ich und verbeugte mich. »Ich bin gekommen, um Ihnen erstens zu sagen, daß ich Ihnen den Schlag nicht nachtrage, denn ich habe ihn für mein Vergehen verdient. Zweitens bedaure ich aufrichtig, daß durch meine Schuld der Plan von Herrn Fandorin gescheitert ist. Ich bitte um Entschuldigung.«
Der Japaner verbeugte sich förmlich, ohne aufzustehen.
»Ich bitte auch Ensudigung«, sagte er, »aber ich kann nich ensudigen. Ihr gehosame Diener.«
Und er verbeugte sich noch einmal.
Nun, wie Sie meinen, dachte ich. Meine Pflicht war getan. Ich verabschiedete mich und ging hinaus.
Bis zur Rückkehr von Mademoiselle mußte ich mich irgendwie beschäftigen, damit die Zeit schneller verging. Also inspizierte ich die Zimmer und wandte im Salon meine Aufmerksamkeit dem Wandteppich zu, der mit kaukasischen und türkischen Waffen behängt war. Ich stieg auf einen Stuhl, nahm einen Dolch mit Silberbeschlag ab und fuhr mit dem Finger über die Scheide – sie war sauber, ohne ein Stäubchen. Ich wurde neugierig, ob Somow pedantisch genug war, nicht nur die Scheide, sondern auch die Klinge zu putzen.
Langsam zog ich die Klinge heraus, behauchte sie und hielt sie gegen das Licht. Und wirklich – Flecke. Wenn nun ein Gast auch aus Neugier den Dolch in die Hand
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