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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nimmt? Das wäre peinlich. Somow ist also von einem richtigen Haushofmeister noch weit entfernt, dachte ich und fühlte dabei, ehrlich gesagt, eine innere Genugtuung.
    Merkwürdige schlappende Schritte erklangen. Auf dem Stuhl stehend, drehte ich mich um und erblickte Herrn Masa. Er trug noch seine japanische Unterwäsche und war barfuß. Herrgott, was nimmt er sich heraus! So durchs Haus zu spazieren!
    Ich muß wohl eine recht zornige Miene gemacht haben, und der gezogene Dolch in meiner Hand sah sicherlich auch bedrohlich aus. Jedenfalls bekam der Japaner einen Schreck.
    Er lief zu mir, ergriff meine Hand und ratterte so schnell, daß ich nur die Hälfte verstand: »Jess ich seh, daß Sie bedauen,Sie sind Samurai, und ich nehme Ensudigung. Harakiri mußt nich sein.«
    Ich begriff nur, daß er beschlossen hatte, Gnade für Recht ergehen zu lassen, und mir nicht mehr böse war. Um so besser.
     
    Doch die Zimmerbegehung konnte ich nicht zu Ende bringen. Ich war gerade im Anrichteraum und prüfte, ob die Servietten gut gebügelt waren, als der Lakai Lipps kam und mir ausrichtete, ich solle unverzüglich den Großfürsten Pawel in der Beletage aufsuchen.
    Im Zimmer des Großfürsten saß auch Leutnant Endlung. Er blickte mich mit rätselhafter Miene an und rauchte eine lange türkische Pfeife.
    »Setz dich, Afanassi, setz dich«, sagte Seine Hoheit, was schon ungewöhnlich war.
    Ich setzte mich vorsichtig auf die Stuhlkante und erwartete von diesem Gespräch nichts Gutes.
    Der Großfürst machte einen erregten und entschlossenen Eindruck, schnitt jedoch nicht das Thema an, das ich fürchtete.
    »Filja hat mir schon lange gesteckt, daß du gar nicht so simpel bist, wie du aussiehst«, begann der Großfürst und nickte zu Endlung hin, »aber ich habe ihm nicht geglaubt. Jetzt sehe ich, daß er recht hat.«
    Ich setzte schon zu einer Rechtfertigung an, aber Seine Hoheit winkte ab – sei still – und fuhr fort: »Darum haben wir uns beraten und beschlossen, dich ins Vertrauen zu ziehen. Denke nicht, daß ich ein herzloser Taugenichts bin und all die Tage nur die Hände in den Schoß gelegt oder mich in Restaurants herumgetrieben habe. Nein, Afanassi, das sahnur so aus, in Wirklichkeit habe ich mit Filja nur über eines nachgedacht – wie wir dem armen Mika helfen können. Die Polizei, gut und schön, aber wir sind doch auch was wert. Wir müssen handeln, sonst werden es diese staatlichen Schlauköpfe dahin kommen lassen, daß die Verbrecher meinen Bruder umbringen. Ihnen sind die Klunker wichtiger als Mika!«
    Das war die reine Wahrheit, und ich dachte ebenso, aber offen gesagt, erwartete ich von den beiden Hitzköpfen nichts Vernünftiges, darum beschränkte ich mich darauf, ehrerbietig den Kopf zu neigen.
    »Endlung hat eine eigene Theorie«, sagte Großfürst Pawel aufgeregt. »Filja, erzähl’s ihm.«
    »Gern«, erwiderte der Leutnant und stieß eine Rauchwolke aus. »Urteilen Sie selbst, Afanassi Stepanowitsch. Es ist doch alles ganz einfach. Was ist über diesen Doktor Lind bekannt?«
    Ich wartete, bis er seine Frage selbst beantwortete, und Endlung fuhr mit erhobenem Zeigefinger fort: »Nur eines. Er ist ein Frauenhasser. Das paßt genau! Ein normaler Mann, der hinter Weibern her ist wie Sie und ich« (hier runzelte ich unwillkürlich die Stirn), »begeht nicht solche Scheußlichkeiten. Richtig?«
    »Nehmen wir es mal an«, sagte ich vorsichtig. »Und was folgt daraus?«
    Ich hatte kein rechtes Vertrauen in die analytischen Fähigkeiten des wackeren Leutnants. Doch er setzte mich in Erstaunen.
    »Und wer kann Frauen nicht ausstehen?« fragte er mit siegessicherer Miene.
    »Ja, wirklich, wer?« fiel Großfürst Pawel ein.
    Ich dachte nach und wiederholte: »Wer?«
    Der Großfürst wechselte einen Blick mit seinem Freund.
    »Aber Afanassi, überleg mal.«
    Ich dachte weiter nach.
    »Na ja, viele Frauen können ihre Geschlechtsgenossinnen nicht ausstehen.«
    »Ach, Afanassi, du hast aber eine lange Leitung! Wir reden nicht von Frauen, sondern von Doktor Lind.«
    Endlung sagte gewichtig: »Hinterwäldler.«
    Ich begriff nicht gleich, was Hinterwäldler mit all dem zu tun haben sollten. Dann fiel mir ein, daß in der feinen Gesellschaft Homosexuelle so bezeichnet wurden. Im übrigen erklärte der Leutnant seinen Gedanken gleich selbst mit anderen Ausdrücken, die nicht salonfähig waren, weshalb ich sie nicht wiederhole.
    »Dann wird alles sofort klar!« rief Endlung. »Lind ist ein Hinterwäldler, seine ganze Bande

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