Entführung des Großfürsten
schnitt zuerst das eine Schnurrbartende ab und dann das andere. Diese Selbstaufopferung zeigte mir ein übriges Mal, daß ich Leutnant Endlung unterschätzt und daß Großfürst Georgi ihn richtig beurteilt hatte.
Als der tapfere Seemann die verbliebenen Stoppeln einseifte und das Rasiermesser ansetzte, kamen zwei hübsche, wenn auch unglaublich angemalte Fräulein in glitzernden Kleidern mit tiefem Dekolleté herein.
»Filja!« zwitscherte die eine – eine schlanke Blondine. Sie trat von hinten an Endlung heran und gab ihm einen Schmatz auf die Wange. »Was für eine Überraschung!«
»Filjuscha!« jauchzte die andere – eine füllige Brünette – nicht weniger freudig und küßte den eingeseiften Leutnant auf die andere Wange.
»Sachte, Sisi, Lola!« rief er. »Ich werd mich noch schneiden.«
Dann hagelte es Fragen und Kommentare, so daß ich nicht mehr auseinanderhalten konnte, welches Fräulein was sagte.
»Warum rasierst du dir den Schnurrbart ab? Ohne ihn wirst du scheußlich aussehen! O Gott, du machst mit deinen Borsten meine gute Solingen ja ganz stumpf! Fahren wir nach der Vorstellung irgendwohin? Wo ist Pollie? Wen hast du denn da bei dir? Puh, ist der aufgeblasen und häßlich!«
»Wer – Afanassi?« trat Endlung für mich ein. »Wenn ihr wüßtet … Mit dem kann ich nicht mithalten. Der Schnurrbart? Eine Wette. Ich fahre mit Afanassi zum Maskenball. Also, Mädchen, macht aus mir ein dralles Püppchen und aus ihm was Imposantes. Was ist das hier?«
Er nahm von einem Wandhaken einen dichten rötlichen Bart und antwortete selbst: »Ach ja, aus ›Nero‹. Lola ist in dieser Rolle einfach umwerfend. Setzen Sie sich, mein Freund …«
Die Schauspielerinnen machten sich, ohne einen Augenblick zu verstummen, fröhlich an die Arbeit. Fünf Minuten später glotzte mich aus dem Spiegel ein abstoßender Herr an – rötlicher Vollbart, struppige Brauen von der gleichen Farbe, dichtes Kräuselhaar und obendrein Monokel.
Die Verwandlung des Leutnants nahm mehr Zeit in Anspruch, dafür war es unmöglich, ihn wiederzuerkennen. Er zupfte die Volants seines üppigen Rüschenkleides zurecht,legte eine Halbmaske an, zog die dick geschminkten Lippen auseinander und lächelte – aus dem verwegenen Seewolf war ein appetitliches Weibchen geworden. Ich bemerkte zum erstenmal, daß er auf seinen rosigen Wangen kokette Grübchen hatte.
»Chic!« sagte er anerkennend. »Mädchen, ihr seid einfach süß. Die Wette werden wir gewinnen. Vorwärts, Afanassi, die Zeit drängt!«
Auf dem Weg zur hell erleuchteten Auffahrt legte ich auch eine Halbmaske an. Ich hatte große Angst, daß man uns nicht in den Klub hineinließe, doch offenbar sahen wir comme il faut aus – der Portier öffnete uns mit einer respektvollen Verneigung die Tür.
Wir betraten eine vornehme Diele, wo Endlung den Umhang abwarf, den er über seinem luftigen Kleid getragen hatte. Nach oben führte eine breite weiße Treppe. Sie endete bei einem riesigen bronzegerahmten Spiegel, vor dem zwei Paare, uns sehr ähnlich, sich schönmachten.
Ich wollte vorbeigehen, doch Endlung stieß mich mit dem Ellbogen an, und ich begriff, daß wir uns damit verdächtig machen würden. Der Form halber blieben wir vor dem Spiegel stehen, aber ich guckte weg, um nicht das Subjekt sehen zu müssen, das Lola und Sisi aus mir gemacht hatten. Dafür betrachtete der Leutnant sein Spiegelbild mit sichtlichem Wohlgefallen, zupfte an seinen Locken und drehte sich hin und her. Zum Glück hatten die Mädchen für ihn ein Kleid gewählt, das die Schultern bedeckte und kein Dekolleté hatte.
Der geräumige Saal war luxuriös und geschmackvoll eingerichtet, im neuen Wiener Stil – mit goldenen und silbernen Arabesken an den Wänden, mit gemütlichen Séparées und kleinen Grotten, gebildet aus tropischen Pflanzen in Kübeln.In einer Ecke war ein Büffet mit Wein und Leckereien, und auf einem kleinen Podest prangte ein blitzblauer Flügel, so etwas sah ich zum erstenmal. Von überallher drangen gedämpfte Stimmen und Gelächter, es roch nach Parfüm und teurem Tabak.
Auf den ersten Blick sah alles nach einer gewöhnlichen mondänen Soiree aus, doch bei näherem Hinschauen fielen die übermäßig roten Wangen und schwarzen Brauen einiger Kavaliere auf, und die Damen muteten ganz sonderbar an: breite Schultern, Adamsapfel, und eine hatte sogar einen dünnen Schnurrbart. Sie war auch Endlung aufgefallen, und über sein Gesicht huschte ein Schatten – er hätte seinen
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