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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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den Saal und schritt entschlossen dahin, wo Mr. Carr mutterseelenallein saß. Er setzte sich zu dem Engländer, küßte ihn auf die Wange und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Carr lächelte, ließ die Augen blitzen und neigte den Kopf zur Seite.
    Ich sah, daß Banville tiefer in den Schatten zurücktrat.
    Ganz in der Nähe erblickte ich Colombina, die mich mit ihrer natürlichen Anmut beeindruckt hatte. Sie stellte sich an die Wand, den Blick auf Seine Hoheit gerichtet, und rang die Hände. Diese Geste kam mir bekannt vor, und mir ging auf, wer das war – Fürst Glinski, der Adjutant des Großfürsten Simeon.
    Auf der Bühne begann unterdessen eine Vorstellung.
    Zwei Tunten sangen im Duett die modische Romanze von Herrn Poigin »Bleib bei mir und geh nicht fort«.
    Sie sangen hübsch und mit echter Leidenschaft, so daß ich unwillkürlich zuhörte, doch bei den Worten »Das Feuer meiner Zärtlichkeit wird dich versengen und ermatten« ließ die Nymphe plötzlich den Kopf auf meine Schulter sinken, und ihre Finger krochen wie zufällig unter mein Hemd, was mich mit Entsetzen erfüllte.
    Voller Panik blickte ich zu Endlung. Der lachte glockenhell und drosch seinem runzligen Kavalier den Fächer auf die Finger. Offensichtlich hatte er es nicht leichter als ich.
    Die Sängerinnen bekamen stürmischen Beifall, auch meine Gefährtin klatschte, was mich vorübergehend von ihren Zudringlichkeiten erlöste.
    Der Ordner stieg auf die Bühne und verkündete: »Auf Wunsch unseres teuren Filador sehen wir nun den allseits beliebten Bauchtanz. Es tanzt die unvergleichliche Frau Désirée, die extra in Alexandria war, um sich diese hohe Kunst anzueignen! Darf ich bitten!«
    Unter dem Beifall des Saals stieg ein wohlbeleibter Herr mittleren Alters auf die Bühne, in Netzstrümpfen, einem kurzen Überwurf und einem paillettierten Röckchen, das einen runden und unnatürlich weißen (wie frisch rasierten) Bauch freiließ.
    Der Pianist spielte eine persische Melodie aus der Operette »Die Odaliske«, und »Frau Désirée« wiegte die Hüften, was ihren umfänglichen Leib in wabbelnde Schwingungen versetzte.
    Ich fand dieses Schauspiel äußerst unappetitlich, aber das Publikum war hingerissen. Von allen Seiten wurde geschrien: »Bravo! Zauberin!«
    Meine Nymphe verlor nun alle Hemmungen, und ich konnte kaum ihre Hand festhalten, die sich auf mein Knie gesenkt hatte.
    »Du bist so unnahbar, einfach göttlich«, hauchte sie mir ins Ohr.
    Großfürst Simeon zog plötzlich Mr. Carr mit einem Ruck zu sich heran und saugte sich mit einem langen Kuß an seinen Lippen fest. Ich sah unwillkürlich Foma Anikejewitsch an, der mit unbewegtem Gesicht hinter dem Sessel des Großfürsten stand, und dachte: Wieviel Beherrschung und Willenskraft muß er besitzen, um sein Kreuz mit solcherWürde zu tragen. Wenn er wüßte, daß ich hier im Saal bin, würde er wohl vor Scham im Boden versinken. Zum Glück war ich mit dem roten Bart nicht zu erkennen.
    Da geschah folgendes.
    Lord Banville kam mit einem lautlosen Schrei hinter seiner Säule hervorgelaufen, war mit ein paar Sätzen bei dem Tischchen, packte Mr. Carr bei den Schultern und zerrte ihn zur Seite, wobei er etwas in seinem lispelnden Idiom rief.
    Großfürst Simeon sprang auf, verkrallte sich in Mr. Carrs Kleid und zog ihn zurück. Ich erhob mich auch. Mir war bewußt, daß vor meinen Augen ein abscheulicher, die Monarchie bedrohender Skandal ablief, doch das Weitere übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Banville ließ Mr. Carr los und versetzte dem Großfürsten eine schallende Ohrfeige!
    Die Musik brach ab, die Tänzerin hockte sich erschrocken hin, und es wurde sehr, sehr still. Nur der keuchende Atem des erregten Lords war zu hören.
    Ungeheuerlich! Das Kaiserhaus war beleidigt worden! Noch dazu von einem Ausländer! Ich stöhnte auf, wohl ziemlich laut.
    Im nächsten Moment dämmerte mir, daß kein Mitglied der kaiserlichen Familie hier war, hier sein konnte. Die Ohrfeige hatte ein gewisser Herr Filador erhalten, ein Mann mit purpurroter Maske.
    Die Brauen des Großfürsten wölbten sich ratlos – in einer solchen Situation war er offensichtlich zum erstenmal. Unwillkürlich griff er sich an die geschlagene Wange und trat einen Schritt zurück.
    Mylord hingegen, der nicht mehr das geringste Anzeichen von Erregung zeigte, zog ohne Eile den weißen Handschuh aus. O Gott! Gleich würde wirklich etwas nicht wiederGutzumachendes geschehen – eine Herausforderung zum Duell, in aller

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