Entführung des Großfürsten
Schnurrbart nicht opfern müssen. Übrigens waren auch Personen darunter, bei denen man nicht auf die Idee gekommen wäre, Männer vor sich zu haben. Eine zum Beispiel, im Colombina-Kostüm, die mir irgendwie bekannt vorkam, hätte es an Grazie und Geschmeidigkeit der Bewegungen mit Fräulein Sisi aufnehmen können.
Endlung und ich spazierten Arm in Arm zwischen Palmen und hielten Ausschau nach Banville und Carr. Sogleich kam ein Herr mit der Schärpe eines Ordners auf uns zugeflogen, drückte die Hände an die Brust und flötete vorwurfsvoll: »Regelverletzung, Regelverletzung! Wer zusammen gekommen ist, vergnügt sich getrennt. Ihr könnt euch noch genug herzen, meine Täubchen.«
Er zwinkerte mir impertinent zu und zwickte Endlung in die Wange, worauf ihm der Leutnant sofort den Fächer gegen die Stirn schlug.
»Kleiner Wildfang«, sagte der Ordner liebevoll zu ihm, »wenn du erlaubst, stelle ich dich dem Grafen von Monte Christo vor.«
Und er führte einen rotlippigen Greis mit schwarzer Lockenperücke heran.
»Und du Rotbart wirst bei einer bezaubernden Nymphe dein Glück finden.«
Ich nahm an, daß es in diesem Kreis üblich sei, sich zu duzen, und antwortete: »Ich danke dir, mein fürsorglicher Freund, doch ich hätte lieber …«
Aber da hakte sich schon eine ausgelassene Nymphe bei mir ein, in einer griechischen Tunika, unterm Arm eine vergoldete Harfe.
Sie schwatzte sogleich lauter Unsinn, noch dazu in einem unnatürlichen Falsett und mit geschürzten Lippen.
Ich zog die mir aufgezwungene Begleiterin weiter in den Saal und entdeckte plötzlich Mr. Carr. Er trug eine Samtmaske, aber ich erkannte ihn sofort an seinen gelben Haaren. Der Engländer – der Glückliche – saß ganz allein an der Wand und trank Champagner, wobei er die Augen schweifen ließ. In seiner Nähe hatte auch Endlung mit seinem Greis an einem Tischchen Platz genommen. Wir tauschten einen Blick, und er wies mit dem Kopf vielsagend zur Seite.
Ich folgte der Richtung seines Blicks. Hinter einer Säule sah ich Lord Banville, obgleich er schwerer zu erkennen war als Mr. Carr, denn eine Maske bedeckte sein Gesicht bis zum Kinn, doch seine Hose mit der purpurroten Biese verriet ihn.
Ich setzte mich auf eine Couchette, die Nymphe ließ sich bereitwillig neben mir nieder und schmiegte sich mit ihrem Schenkel an mich.
»Müde?« flüsterte sie. »Dabei siehst du so kräftig aus. Was für ein süßes Wärzchen du hast. Wie eine Rosine.«
Sie berührte mit dem Finger meine Wange. Ich konntemich nur mit Mühe zurückhalten, dem frechen Weibsbild, genauer, Mannsbild, auf die Hand zu hauen.
»Seidenweiches Bärtchen, hübsches Lärvchen«, plapperte die Nymphe. »Bist du immer so ein Griesgram?«
Ohne Banville aus den Augen zu lassen, murmelte ich: »Immer.«
»Was für ein Blick – als hättest du mir eins mit der Peitsche übergebrannt.«
»Wenn du die Hände nicht stillhältst, brenn ich dir auch eins über«, raunzte ich, alle Höflichkeit aufgebend.
Meine Drohung zeitigte bei der Nymphe eine unerwartete Wirkung.
»Auf den Podex?« piepste sie erbebend und preßte sich mit dem ganzen Körper an mich.
»Ich besorg’s dir so, daß du noch lange daran zurückdenkst«, sagte ich und schüttelte sie ab.
»Lange, sehr lange?« säuselte mein Quälgeist und stieß einen schmachtenden Seufzer aus.
Ich weiß nicht, womit unser Dialog geendet hätte, aber da ging eine kaum spürbare Bewegung durch den Saal, als striche eine leichte Brise übers glatte Meer. Alle drehten den Kopf in eine Richtung, aber unauffällig, verstohlen.
»Ach, Filador ist gekommen«, hauchte die Nymphe. »Wie schön er ist! Eine Pracht! Eine Pracht!«
Der Ordner lief in leichtem Trab zu einem sehr hochgewachsenen schlanken Herrn mit purpurroter Seidenmaske, unter der ein gepflegtes Spitzbärtchen hervorsah. Ich erblickte hinter dem Rücken des Ankömmlings das strenge, leidenschaftslose Gesicht Foma Anikejewitschs und erriet sofort, wer Filador war. Der Haushofmeister des Generalgouverneurs, des Großfürsten Simeon, machte eine Miene, als sei er mit seinemHerrn zu einem gewöhnlichen Empfang gekommen. Er trug keine Maske und hielt den langen Samtumhang des Großfürsten in der Hand, wohl um die Anwesenden hinsichtlich seines Status nicht im unklaren zu lassen. Ein feiner Mensch.
»Zu wem möchtest du dich setzen, göttlicher Filador?« hörte ich die honigsüße Stimme des Ordners.
Der Generalgouverneur überblickte von der Höhe seines Zweimeterwuchses
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