Entführung des Großfürsten
es Ihnen dort gefallen. Da gibt es Püppchen, die auf Ihren Handteller passen und trotzdem die volle Takelage haben. Glauben Sie mir, eine Taille, so schmal, aber hier und hier ist alles dran.« Er deutete Rundungen an. »Ich selber schwärme ja für mollige Frauen, aber ich kann Sie verstehen – die Zierlichen haben auch ihren Reiz. Erzählen Siemir von der Sneshnewskaja, wir sind doch Kumpel.« Endlung legte mir die Hand auf die Schulter und blickte mir in die Augen. »Womit macht diese Polin alle so verrückt? Stimmt es, daß sie in Momenten der Leidenschaft jauchzende Laute von sich gibt, die die Männer um den Verstand bringen wie der Gesang der Sirenen die Gefährten des Odysseus? Na los!« Er stieß mir den Ellbogen in die Seite und zwinkerte mir zu. »Pollie sagt, daß er bei dem einzigen Stelldichein keinen Gesang von ihr gehört hat, aber er ist noch ein Küken und konnte in der Frau wohl kaum richtige Leidenschaft entfachen. Sie dagegen sind ein erfahrener Mann. Erzählen Sie schon, zieren Sie sich nicht! Wir kommen hier sowieso nicht lebend raus. Ich möchte zu gern wissen, was das für Laute sind.« Und der Leutnant sang. »Ich höre das Jauchzen der Polin, welch ein himmlischer Gesang.«
Von dem leidenschaftlichen Jauchzen der Ballerina war mir natürlich nichts bekannt, und wenn es mir bekannt gewesen wäre, hätte ich mich über ein solches Thema nicht ausgelassen, das versuchte ich Endlung mit entsprechender Mimik deutlich zu machen.
Er seufzte bekümmert.
»Also ist das gelogen? Oder verheimlichen Sie mir etwas? Na schön, wenn Sie nicht erzählen wollen, lassen Sie es bleiben, obwohl es nicht kameradschaftlich ist. Solche Heimlichtuerei ist unter Seeleuten nicht üblich. Wissen Sie, wenn man Monate lang kein Land sieht, sitzt man gemütlich in der Messe und erzählt sich alle möglichen Geschichten …«
Von ferne, wie aus dem Innern der Erde, ertönte mächtiges Glockengeläut.
»Halb zehn«, unterbrach ich aufgeregt den Leutnant. »Es hat angefangen!«
»Ich habe kein Glück«, klagte Endlung bitter. »Nun werde ich nie eine Zarenkrönung sehen, obwohl ich Kammerjunker bin. Bei der letzten Krönung war ich noch im Korps und durfte nicht dabeisein. Und die nächste erlebe ich nicht mehr – der Zar ist jünger als ich. Ich habe mich so darauf gefreut und habe mir einen guten Platz reservieren lassen. Genau gegenüber von der Roten Treppe. Jetzt kommen sie gerade aus der Uspenski-Kathedrale, oder?«
»Nein«, antwortete ich. »Aus der Uspenski-Kathedrale kommen sie erst später. Ich kenne die Zeremonie in allen Einzelheiten. Soll ich sie Ihnen erzählen?«
»Ja!« rief der Leutnant und nahm den Türkensitz ein.
»Also, folgendermaßen«, begann ich. »In diesem Moment tritt der Moskauer Metropolit Sergius aus der Vorhalle der Uspenski-Kathedrale, er geht auf den Herrscher zu und kündet Seiner Majestät von der schweren Bürde des Zarendienstes, ebenso vom großen Mysterium der Salbung. Vielleicht hat er seine Ansprache auch schon beendet. Am Ehrenplatz, vor der Heiligen Pforte, schimmern zwischen goldbestickten Hofuniformen und perlenbesetzten Festkleidern weiße Bauernhemden und bescheidene rote Frauenhauben – das sind, aus dem Gouvernement Kostroma hergebracht, Nachfahren des heldenhaften Iwan Sussanin, des Retters der Romanow-Dynastie. Nun schreiten der Zar und die Zarin auf einem roten Läufer zu den Thronen gegenüber vom Altar. Ein extra Thron ist für die verwitwete Zarinmutter aufgestellt. Der Zar trägt heute die Uniform des Preobrashenskojer Regiments mit rotem Schulterband. Die Zarin hat ein Gewand aus silberweißem Brokat und ein Kollier aus rosa Perlen angelegt, und vier Kammerpagen halten ihre Schleppe. Der Zarenthron wurde einst für den Zaren Alexej Michailowitsch gefertigtund wird der Diamantene genannt, weil 870 Diamanten ihn schmücken, außerdem Rubine und Perlen. Die höchsten Würdenträger des Reiches tragen Samtkissen mit den Reichsinsignien: Schwert, Krone, Schild und das Zepter mit dem berühmten Brillanten ›Orlow‹.« Ich seufzte, kniff die Augen zu und sah den heiligen Stein ganz deutlich vor mir. »Er ist lupenrein, durchsichtiger als eine Träne und schillert ein wenig ins Blaugrüne, wie Meerwasser in der Sonne. Er hat fast zweihundert Karat und gleicht in der Form einem halbierten Ei, ist nur größer. Einen schöneren Brillanten gibt es auf der ganzen Welt nicht …«
Endlung hörte wie verzaubert zu. Ich ließ mich, ehrlich gesagt, selber
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