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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Krönung hat stattgefunden, und Doktor Lind hat das hochfeierliche Ereignis nicht vereitelt.
    »Was machen die Engländer?« fragte ich, um zu hören, ob man in der Eremitage von dem Duell wußte.
    »Lord Banville ist abgereist. Gestern mittag. Hat nicht einmal an der Krönung teilgenommen. Er hat Seiner Hoheit eine Nachricht dagelassen und ist auf und davon. Ganz bleich war er und wütend. Vielleicht beleidigt oder krank. Er hat für das Stammpersonal großzügige Trinkgelder zurückgelassen, für Sie, Afanassi Stepanowitsch, eine goldene Guinee.«
    »Wechseln Sie die Guinee in Rubel, und die verteilen Sie in meinem Namen zu gleichen Teilen an Lipps und die beiden Kutscher, sie haben gute Arbeit geleistet«, sagte ich, denn ich wollte von diesem Mordbuben kein Geld. »Und was ist mit Mr. Carr?«
    »Er ist geblieben. Der Lord hat ihm seinen Butler überlassen und ist allein abgereist.«
    »Wie geht es Mademoiselle Déclic, langweilt sie sich ohne ihren Zögling?« tastete ich mich schließlich gespielt sorglos an das Wichtigste heran.
    Vom Korridor waren leise Schritte zu hören. Ich drehte mich um und sah Fandorin. Er war angetan mit einer ungarischen Hausjacke, einem Haarnetz und Filzpantoffeln. Gelecktes Aussehen, leise Sohlen, im Halbdunkel glitzernde Augen – der reinste Kater.
    »Der Nachtpförtner hat mir gesagt, daß Sie z-zurück sind. Und wo ist Endlung?« fragte er ohne Begrüßung.
    Da er nach Endlung fragte, war anzunehmen, daß Großfürst Pawel ihm von unserem Ausflug erzählt hatte. Obwohl ich diesen Mann nicht ausstehen konnte, drängte es mich, mit ihm zu reden.
    »Sie können gehen, Kornej Selifanowitsch«, sagte ich zu meinem Gehilfen, der sich auch sofort entfernte. »Mit dem Herrn Kammerjunker ist alles in Ordnung«, antwortete ich knapp, und um allen unangenehmen Fragen zuvorzukommen, fügte ich hinzu: »Leider haben wir nur unnütz Zeit vertan.«
    »Bei uns ist auch nicht alles glatt gegangen«, sagte Fandorin und setzte sich. »Sie sind ja vorgestern abend v-verschwunden, als Emilie noch nicht zurück war. Sie hat ihre Aufgabe hervorragend gemeistert, und wir wissen jetzt, wo Linds Unterschlupf ist. Er versteckt den Knaben in der Gruft der Fürstin Bachmetjewa, das ist eine Kapelle mit einem unterirdischen Grabgewölbe an der Mauer des Nowodewitschi-Klosters. Die Fürstin hat sich vor hundert Jahren aus unglücklicher Liebe das Leben genommen und durfte nicht auf dem Klosterfriedhof bestattet werden. Daraufhin haben ihr die untröstlichen Eltern eine Art Mausoleum errichtet. Das Geschlecht Bachmetjew ist erloschen, die Kapelle verfallen, an der Tür hängt ein verrostetes Schloß. Aber das ist nur zum Schein. Mademoiselle hat erzählt, daß sie jedesmal, wenn siemit verbundenen Augen in den kalten Raum geführt wurde, das Geräusch gut geölter Türangeln gehört hat. Der Grundriß der Kapelle war nicht aufzufinden, es ist lediglich bekannt, daß sich die eigentliche Gruft u-unter der Erde befindet.«
    Fandorin zeichnete mit dem Finger Linien auf den Tisch.
    »Gestern haben wir uns schon im Morgengrauen v-vorbereitet. Das hier« (er stellte einen Brotkorb hin) »ist das Kloster. Und das die Kapelle.« (Er stellte einen Salzstreuer daneben.) »Ringsum ist Ödland, hier ein Teich.« (Er goß etwas Tee auf die Wachstuchdecke.) »Im allgemeinen kommt man nicht unbemerkt heran. Wir haben verkleidete Leute im ganzen Umkreis aufgestellt. Hineingegangen sind wir noch nicht.«
    »Warum nicht?« fragte ich.
    »Sie müssen wissen, Sjukin, daß rund um das Kloster der Boden noch aus den Zeiten der Wirren von unterirdischen Schlupflöchern wimmelt. Mal haben die Polen das Kloster belagert, mal der Falsche Dmitri, und später haben die Strelitzen die Mauer untergraben, um die Zarentochter Sofja zu befreien. Ich bin sicher, daß Lind als v-vorausschauender und vorsichtiger Mann nicht zufällig diesen Ort gewählt hat. Dort muß es einen Rückzugsweg geben, das ist immer seine Taktik. Darum habe ich ein anderes Vorgehen beschlossen.«
    Er runzelte die Brauen und stieß einen Seufzer aus.
    »Die Übergabe des Steins sollte gestern fünf Uhr n-nachmittags stattfinden, da die Krönung bis zwei dauerte. Sofort nach der Zeremonie wurde der ›Orlow‹ aus dem Zepter herausgelöst …«
    »Man hat dem Austausch also zugestimmt?« rief ich. »Dann hat sie sich geirrt, und man hat beschlossen, den Großfürsten Michail zu retten!«
    »Wer ist sie?« hakte Fandorin sofort ein, doch er sah an meiner Miene, daß er

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