Entfuehrung nach Gretna Green
heiraten.“
„Aber ...“, stieß Venetia fassungslos hervor.
Miss Platt verschränkte die Hände unter dem Kinn und schloss die Augen. „Er ist der schönste Mann, den ich jemals gesehen habe.“
Und der hochmütigste, schoss es Venetia durch den Kopf. Miss Platt ließ ihre gefalteten Hände herabfallen und heftete ihren leuchtend blauen Blick auf Venetias Gesicht. „Miss West, glauben Sie, ein Gentleman wie Lord MacLean könnte Interesse an jemandem wie mir haben?“
Venetia betrachtete Miss Platt, ihre flache Brust, die viel zu großen Füße, die abfallenden Schultern, das dünne, mausbraune Haar und die Hakennase über den viel zu schmalen Lippen. Dann dachte Venetia an Gregor, an seine wilde, männliche Schönheit, die von seiner rasiermesserschmalen Narbe im Gesicht noch unterstrichen wurde. Die Narbe begann über seiner Augenbraue, verschonte sein Auge und zog sich dann als blasser Streifen über seine Wange. Aber diese Verunstaltung hatte die Damenwelt Londons niemals auch nur im Geringsten gestört. Im Gegenteil, die Narbe schien ihn nur noch anziehender zu machen, als würde sie dem ohnehin schon atemberaubend gut aussehenden Mann zusätzlich einen Hauch exotischer Gefährlichkeit verleihen.
Venetia hatte miterlebt, wie sich eine Frau nach der anderen Gregor vor die Füße warf, ohne von ihm erhört zu werden, es sei denn, als zeitweilige Gespielin. Als sie nun Miss Platts hoffnungsvolles Gesicht sah, wurde ihr das Herz schwer.
In dem Moment, in dem Venetia den Mund zu einer Antwort öffnete, schrillte Mrs. Blooms Stimme durch den Flur. „Miss Platt!“
Miss Platt zuckte zusammen. „Du liebe Güte! Ich muss gehen!“ Sie machte einen linkischen Knicks und eilte zur Tür. „Ich weiß nicht, warum man heute Morgen kein heißes Wasser gebracht hat, aber Mrs. Bloom wird keine Ruhe geben, bis sie welches bekommen hat.“ An der Tür blieb sie stehen und lächelte Venetia schüchtern an. „Vielen Dank, dass Sie mit mir gesprochen haben, Miss West! Ich weiß nicht, ob ich jemals in der Lage sein werde zu tun, was Sie mir geraten haben, aber... “
„Natürlich können Sie das! “, erklärte Venetia, indem sie ihre eigenen Zweifel verdrängte. „Und Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass es weitaus bessere Männer gibt als Gregor MacLean.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, widersprach Miss Platt kopfschüttelnd.
Venetia lächelte ihr aufmunternd zu. „Warten Sie erst einmal, bis Sie in London sind und eine gewisse Zeit in der dortigen Gesellschaft verbracht haben. Es gibt dort eine Menge Männer, die viel charmanter sind als er.“
„Hach, Miss West“, kicherte Miss Platt. „Wie reden Sie denn? Sie sind sehr freundlich, und ich weiß es zu schätzen ... “
Die Tür auf der anderen Seite des Korridors wurde mit lautem Krachen aufgerissen, und Mrs. Blooms schrille Stimme bellte: „Miss Platt! Kommen Sie sofort!“
Dann wurde die Tür wieder zugeworfen.
Miss Platt zuckte zusammen. „Ich gehe jetzt besser. Vielen Dank für Ihren Rat.“ Sie wedelte kurz mit der Hand über einer Schulter, bevor sie das Zimmer verließ.
Venetia folgte Miss Platt auf den Flur und sah ihr zu, wie sie die Stufen hinuntereile und um die Ecke verschwand. Wer hätte gedacht, dass der einzige Traum, den Miss Platt träumte, ein Flirt war. Offensichtlich gab es viel zu tun, um Miss Platts Selbstwertgefühl zu stärken.
Solange Miss Platt keinen Sinn für ihre eigenen Ziele im Leben entwickelte, würden andere Menschen sie schlicht vereinnahmen, so wie Mrs. Bloom es tat.
Verächtlich schnaubend starrte Venetia Mrs. Blooms verschlossene Tür an. Herrische Xanthippen, die sich für besser hielten als ihre Mitmenschen, hatten eine wichtige Lektion zu lernen. Doch bevor Venetia sich dieser Aufgabe widmen konnte, musste Miss Platts schlechte Meinung von sich selbst verbessert werden. Aber wie?
Es war zu schade, dass Venetia sich in dieser Angelegenheit nicht von Gregor helfen lassen konnte. Wenn der der Dame nur ein kleines bisschen Aufmerksamkeit widmete, würde das wahre Wunder wirken, was ihr viel zu kleines Selbstbewusstsein betraf, und konnte ihr vielleicht die Entschlossenheit und Kraft geben, sich gegen Mrs. Blooms Schikanen zu wehren.
Die Erinnerung an Gregors Kuss brannte in Venetias Innerem, und sie hatte Mühe, den Wirbel von Emotionen, der von ihr Besitz ergriffen hatte, unter Kontrolle zu bringen. Wahrscheinlich wäre Gregor ohnehin eine allzu mitreißende Erfahrung für Miss
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