Entfuehrung nach Gretna Green
einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht betrat Venetia den Gastraum.
Bis zu dem Moment, in dem Venetia das Zimmer betrat, war Gregor nicht aufgefallen, wie angespannt er war, während er auf sie wartete, doch in der Sekunde, in der sein Blick auf sie fiel, brannte sein ganzer Körper lichterloh.
Verdammt noch mal, so hatte er sich das Wiedersehen nach dem gestrigen Abend nicht vorgestellt! In der vergangenen Nacht, im Anschluss an den ungestümen Kuss, den Venetia und er getauscht hatten, war es ihm nicht gelungen, einzuschlafen. Niemals zuvor hatte er zugelassen, dass irgendetwas, das zwischen ihm und einer Frau geschehen war, ihm die wohlverdiente Ruhe raubte.
Doch aus irgendeinem Grund hatte er jedes Mal, wenn er die Augen geschlossen hatte, an Venetia denken müssen, an die erstaunliche Leidenschaft, die zwischen ihnen aufgeflammt war, und daran, wie unglaublich weich sich ihre Lippen auf seinen angefühlt hatten. Wieder und wieder hatte er in seiner Erinnerung den Moment des Kusses erlebt und an all die Verwicklungen gedacht, die sich daraus ergeben konnten.
Obwohl sie kein junges Mädchen mehr war, war Venetia in vielerlei Hinsicht unschuldig. Er war sich sicher, dass ihre Reaktion auf seine Umarmung sie verwirrt hatte. Wenn er sich den kommenden Morgen vorgestellt hatte, hatte er Venetia bedrückt und blass vor sich gesehen. Selbstverständlich würde er so tun, als bemerke er nicht, wie schlecht es ihr ging, und sie beruhigen, indem er so tat, als wäre nichts geschehen. Er hatte einige Erfahrung mit solchen Situationen und wusste deshalb, dass es eine Weile dauern würde, bis sie begriff, dass er nicht vorhatte, irgendeinen Vorteil aus dem zu ziehen, was geschehen war, oder sie gar darauf anzusprechen.
Umso mehr erstaunte es ihn, wie gelassen Venetia schließlich das Zimmer betrat. Sie war in leuchtende Farben gekleidet und lachte über irgendetwas, das Ravenscroft gesagt hatte. Nicht für den Bruchteil einer Sekunde sah sie in Gregors Richtung. Ohne Unterlass unterhielt sie sich fröhlich mit Mrs. Treadwell, neckte Ravenscroft, weil er angeblich so schrecklich ausgehungert war, dachte sogar daran, ihn „Bruder“ in einem täuschend natürlichen Tonfall zu nennen, begrüßte Miss Platt freudig, erkundigte sich nach Mrs. Blooms Befinden und schaffte es sogar, interessiert dreinzuschauen, als sich die Dame bei der Erläuterung ihres Zustands in höchst umständlichen Formulierungen erging.
Als ihr Blick endlich doch Gregors Blick für den Bruchteil einer Sekunde begegnete, wandte sie sich ungerührt ab und spazierte zum Fenster, von wo aus sie den schmelzenden Schnee betrachtete und Miss Platt erklärte, dass sie wohl bald schon alle abreisen konnten und was für eine Freude das sei.
Gregor kochte innerlich. Er war jedoch nicht der Einzige, der bemerkt hatte, wie kühl Venetia auf ihn reagierte. Mrs. Bloom ließ unablässig ihren Blick zwischen ihm und Venetia hin- und herwandern und platzte offensichtlich vor Neugier zu erfahren, was zwischen ihnen geschehen war. Dann tauchte sie auch schon an seiner Seite auf. „Nun?“ Sie musterte ihn, als hätte sie ein besonders schmackhaftes Gericht vor sich. „Was haben Sie Miss West angetan, dass sie Sie derart ignoriert?“
Was er getan hatte? Pah! Er hatte nichts von alledem getan, was jeder andere heißblütige Mann getan hätte! Um Mrs. Blooms Neugier im Zaum zu halten, zuckte er mit den Achseln. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Miss West sieht einfach nur nach dem Wetter. Ich glaube, es hat endgültig auf gehört zu schneien, meinen Sie nicht auch?“
Mit dieser Bemerkung erreichte Gregor genau das, was er wollte: Mrs. Bloom fing sofort an, sich ausführlich über das Wetter auszulassen. Alles, was die Dame von einer Unterhaltung erwartete, war ein Zuhörer, der gelegentlich nickte und ab und zu so etwas wie „Sie haben ganz recht!“ murmelte.
Nebenbei konnte er an Mrs. Bloom vorbei einen Blick zu Venetia hinüber riskieren, die immer noch am Fenster stand. In dem Moment, in dem er sie ansah, wünschte er sofort, er hätte es nicht getan.
Von draußen, wo der Schnee den strahlenden Sonnenschein reflektierte, drang blendend helles Licht ins Zimmer. Venetia stand ein wenig seitlich vom Fenster, teilweise im Schatten, doch die Sonnenstrahlen fielen auf ihren Kopf und schimmerten in ihrem Haar, das aussah, als hätte jemand Gold darüber gestäubt.
Seltsamerweise hatte er in London niemals Gelegenheit gehabt, Venetia so zu sehen. Wenn sie in
Weitere Kostenlose Bücher