Entfuehrung nach Gretna Green
verzeihen?“
Offensichtlich ernüchtert, öffnete sie den Mund und schloss ihn sofort wieder.
Er lächelte vor sich hin. Venetia benutzte ihren Zorn als Schutzschild, um sich dahinter zu verstecken. Wenn er ihren Ärger nicht noch schürte, sondern sie besänftigte, stand sie fast
hilflos vor ihm. Dieser Gedanke gefiel ihm!
Doch wo waren sie stehen geblieben? Ach ja, er hatte ihr das Geschenk gegeben. Nun war die Poesie dran. Sobald Venetia aufgehört hatte, sich über seinen Gedichtvortrag vor Lachen auszuschütten, würde er sich bei ihr für sein seltsames Verhalten entschuldigen und losgehen, um seinen Wettgewinn zu kassieren.
Zufrieden mit der Entwicklung des Geschehens, schlug er das Buch an einer der Stellen auf, die Ravenscroft markiert hatte.
Mit lauter Stimme begann er zu lesen: „Unten am Fluss erhob ich mich und sah die Morgendämmerung und seufzte beim Gedanken an dich ... “
Venetia musterte ihn erstaunt. Das arme Mädchen musste sich wahrscheinlich furchtbar anstrengen, um sich nicht in Lachkrämpfen am Boden zu wälzen; am besten brachten sie es so schnell wie möglich hinter sich, damit sie aus ihrem Elend erlöst wurde. Gregor räusperte sich und fuhr fort, wobei er die Sache ein wenig gefühlvoller gestaltete, indem er sich die freie Hand auf die Brust presste: „Als die Sonne hoch stand, und der Tau verdunstet war, und der Mittag schwer auf Blume und Baum lag ... “
Wie konnte der Mittag auf irgendetwas liegen, und noch dazu schwer? Er hatte einmal ein Gedicht über ein riesiges Schiff gelesen, das bei einem gewaltigen Sturm sank. Das war ein gutes Gedicht gewesen!
„Gregor?“ Venetias Stimme zitterte ein ganz kleines bisschen.
„Lass mich erst zu Ende lesen.“ Er zwinkerte ihr munter zu. „Und als der matte Tag sich schließlich zur Ruhe begab, zögernd wie ein ungeliebter Gast, seufzte ich noch immer nach dir.“
Unfähig, noch ein einziges Wort zu ertragen, klappte er das Buch zu. „Bitte. Poesie. Für dich. Was denkst du darüber?“
Venetia war kaum in der Lage zu atmen. Sie betrachtete die Halskette, die glitzernd in ihrer Hand lag. Dann schaute sie das Buch an, aus welchem Gregor ihr vorgelesen hatte.
Sie konnte nicht glauben, dass das hier wirklich passierte.
Es konnte unmöglich Gregor sein, der da vor ihr stand, bewaffnet mit Geschenken und Gedichten, der ihr Poesie vortrug, als wäre er ... als wäre ...
Wagte sie, diesen Gedanken zu Ende zu denken?
Venetia umklammerte die Halskette und spürte das Gold warm in ihrer Hand. Vielleicht ... vielleicht bedeutete sie ihm tatsächlich etwas.
Ihr Herz tat einen Sprung und wurde ganz weit. Sie konnte nichts dagegen tun. Die Worte, die er ihr vorgelesen hatte, durchfluteten sie wie eine warme Welle - seufzte ich noch immer nach dir - und brachten ihre Haut zum Prickeln, an ihren Armen, an ihrem Rücken und auch tiefer. „Ich seufzte nach dir“, wiederholte sie mit leiser Stimme verwundert, und in ihr brach ein Damm. Sie machte einen Schritt nach vorn, warf sich an seine breite Brust, hob ihm ihr Gesicht entgegen und zog seinen Mund zu ihrem herab.
Für eine Sekunde stand er stocksteif da. Venetia spürte, wie die Leidenschaft in ihr anschwoll und von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Sie ließ ihre Zunge über seine Lippen gleiten und presste ihre Brust gegen seine, während sie sich mit beiden Händen an seine Jackenaufschläge klammerte, um ihn näher an sich heranzuziehen.
Das Buch glitt aus Gregors Fingern und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf, dann strichen seine Hände an ihrem Rücken herab, umfingen sie fester, hielten sie näher, enger bei seinem Körper. Er öffnete den Mund und küsste sie nicht mehr nur, sondern nahm sie in Besitz, bog sie in seinen Armen zurück, presste sich an sie ...
Plötzlich hielt er inne und öffnete die Augen. Dann hob er den Kopf und schaute aus dem Fenster.
Als Venetia in dieselbe Richtung sah wie Gregor, entdeckte sie draußen Ravenscroft und Gregors Reitknecht, die im schneebedeckten Hof standen. Auf ihren beiden Gesichtern lag exakt der gleiche Ausdruck von Erstaunen und Ehrfurcht.
Mit unterdrückter Stimme stieß Gregor einen Fluch aus. Dann ging er zum Fenster, riss es auf, fischte etwas aus seiner Jackentasche und warf es in den Schnee. Nachdem er das Fenster wieder zugeknallt hatte, zerrte er die Vorhänge davor.
„Gregor, ich ...“
Wortlos stapfte er zur Tür und stieß sie mit dem Fuß zu.
Venetias Herz raste, ihre Hände wurden heiß,
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