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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koppel Hans
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zum Kindergeburtstag eingeladen. Mike glaubte nicht, dass Ylva bis dahin wieder zu Hause sein würde.
    Mike dachte über ihr Verhältnis nach, so es denn eins gewesen war.
    Sein Handy vibrierte auf dem Küchentisch und erzeugte ein in der Stille erstaunlich massives Geräusch. Mike schaute auf das Display. Es war sein Büro, er ging dran.
    Der Kollege klang auf sympathische Art bemüht unbeschwert.
    »Ich wollte nur hören, ob du heute mal vorbeischaust.«
    »Klar. Bin schon unterwegs. Hab nur ziemlich schlecht geschlafen.«

    »Es eilt nicht«, versicherte sein Kollege. »Die Besprechung ist erst nach dem Mittagessen.«
    »Danke für deinen Anruf«, sagte Mike.
    Er unterbrach die Verbindung und faltete die Zeitung zusammen. An diesem zehnten Tag nach Ylvas Verschwinden.

30. KAPITEL
    Wer behauptet, zwischen Jungen und Mädchen bestehe kein Unterschied, hat noch nie einen Kindergeburtstag ausgerichtet, dachte Mike. Die Jungen schrien und machten Krach, prügelten sich, warfen mit dem Popcorn um sich und verschütteten johlend ihre Limo, während sich die Mädchen ruhig um Sanna scharten, um zuzuschauen, wie sie ihre Geschenke auspackte.
    Ob dieser Unterschied genetisch oder kulturell bedingt war, war eine andere Frage, aber Mike war dankbar, dass er eine Tochter hatte und keinen Sohn. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Den sympathischen, philosophischen Ivan beispielsweise, der auf die Frage, wie es seinen Eltern gehe, geantwortet hatte: »Nicht so gut. Wir sind momentan recht arm. Wir können dieses Jahr nicht nach Thailand fahren.« Oder der stille Tobias, der geheult hatte wie ein Schlosshund, als er feststellte, dass seine Süßigkeitentüte keine Punschpralinen enthielt. Mike hatte bei den folgenden Geburtstagen immer darauf geachtet, dass sich dieser Fehler nicht wiederholte.
    Mike und Kristina hatten einen zusätzlichen ausklappbaren
Tisch in die Küche gestellt und gedeckt, damit alle Platz hatten. Zwei weitere Elternpaare legten Eis und Baiser auf Kuchenplatten. Kristina schnitt Bananen in Scheiben, und Mike goss Sirup in eine Karaffe. Der chaotische Lärm aus dem Wohnzimmer war Musik in seinen Ohren, eine Erinnerung daran, dass das Leben mit unverminderter Kraft weiterging, auch wenn er selbst sich in einem Vakuum befand.
    Denn so war es. Nichts änderte sich, alles blieb beim Alten. Zahllose Worte und leere Floskeln wurden ausgesprochen, um etwas zu unterstreichen, mit Bedeutung zu füllen, um zu beschwichtigen und zu trösten. Was Holst nicht daran hinderte, wie immer in seinem Volvo an ihm vorbeizufahren, und die Halonen nicht, ihm auf Abstand zuzuwinken, wenn sie mit ihrem Schäferhund spazieren ging.
    Das Leben ging weiter. Das Unerhörte war nur eine Kräuselung auf der Wasseroberfläche und würde nie größere Ausmaße annehmen. Die Anteilnahme seiner Umwelt war auf ein »Nichts Neues?« zusammengeschrumpft. Mike schüttelte als Antwort nur bekümmert den Kopf: nichts Neues.
    Er sah auf die Uhr. Zwanzig nach zwei. Die Schweizer Meringue war fast fertig, und das Geräuschniveau im Nebenzimmer erinnerte mittlerweile an den Herrn der Fliegen.
    »Soll ich sie holen?«, fragte Mike.
    »Tu das«, erwiderte seine Mutter.
    Mike ging ins Nebenzimmer, pfiff auf zwei Fingern, um
die Kinder zum Schweigen zu bringen, und erklärte, dass sie jetzt in die Küche kommen sollten.

    Am Briefkasten und an der Haustür hingen Ballons. Ylva verfolgte die Ankunft der Gäste auf dem Bildschirm. Sannas Mitschüler kamen in Sonntagskleidern und mit Paketen in der Hand, um sie gleich überreichen zu können. Die Kinder wurden ins Haus gebeten. Mike stand in der Tür und wechselte noch ein paar Worte mit den Eltern.
    Ylva fand, dass sie aussahen, als sei ihnen unbehaglich zumute, steif und unsicher. Sie ging davon aus, dass ihre Abwesenheit immer noch alle Gemüter beschäftigte. Alles andere wäre auch verwunderlich gewesen.
    Die Sonne schien, aber die Ballons tanzten ruckartig im Wind. Bei solchem Wetter konnte man nicht mit Papptellern und Pappbechern im Freien decken.
    Anders und Ulrika sowie Björn und Grethe blieben, um zu helfen. Mikes Mutter war bereits am Vorabend gekommen. Die übrigen Eltern nutzten die Zeit vermutlich, um alleine etwas zu unternehmen: spazieren gehen, in die Stadt fahren, ins Kino gehen oder etwas Ähnliches. Falls die Zeit dazu reichte. Ein Kindergeburtstag dauerte in der Regel zwei oder drei Stunden.
    Als alle Gäste eingetroffen waren und sich die Tür geschlossen hatte, konnte Ylva nicht mehr

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