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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koppel Hans
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dankbar. Gösta Lundin blätterte in seinem Kalender und schaute dann zu ihm hoch.
    »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Ich frage mich, ob ich Sie nicht schon mal im Lebensmittelladen in Läröd gesehen habe. Wohnen Sie dort?«
    »Hittarp«, sagte Mike. »Im Gröntevägen.«
    »Gröntevägen«, erwiderte Gösta. »Dachte ich’s mir doch. Meine Frau und ich sind gerade erst aus Stockholm zugezogen. Wir wohnen am Sundsliden, etwas weiter oben.«
    Mike wirkte erstaunt.

    »Kann das sein? Komisch, dass wir uns noch nie begegnet sind?«
    »Ich bin sicher, dass ich Sie schon mal gesehen habe«, meinte Gösta. »Sie waren wohl in Gedanken woanders, aus nachvollziehbaren Gründen.«
    »Trotzdem«, sagte Mike. »Wir sind ja praktisch Nachbarn. Sie meinen das weiße Haus am Hang, das umgebaute? Mit dem Musikstudio im Keller?«
    Gösta legte den Kalender hin, spielte ein paar Akkorde auf einer Luftgitarre und summte die ersten Takte von »Smoke on the Water«.
    Mike musste lachen. Ein Psychologe, der einen Rockstar mimte, das war in seiner unerwarteten Einfachheit schön.
    »Ich bin allerdings mehr für Schlagzeug«, meinte Gösta. »Das ist mein Ventil. Ich hämmere drauflos, um mich abzureagieren.«

37. KAPITEL
    Es kam auf Einfühlungsvermögen und Glaubwürdigkeit an. Ylva führte ihre einzige Aufgabe mit Begabung und überzeugend aus. Es war nicht schwer, sie freute sich fast auf die Besuche. Jede Form menschlichen Kontakts war der Isolation und Einsamkeit vorzuziehen. Es traf zu, was sie ihr vorhergesagt hatten, sie hatte gelernt, genügsam zu sein.
    Ylva spielte die Rolle der wandelbaren Liebhaberin. Vom lüsternen Vamp bis zur schüchternen Unschuld.
    Das war unendlich lächerlich. Er war über sechzig, gebildet und intelligent, er hätte es besser wissen müssen. Aber Gösta Lundin unterschied sich nicht von anderen Männern. Er glaubte gern ihrem lauten Stöhnen, glaubte, dass sie sich aufbäumte, um selbst in Ekstase zu geraten und sich ganz von seiner Potenz ausfüllen zu lassen.
    Wenn er klopfte, stellte sie sich gut sichtbar und mit den Händen auf dem Kopf vor die Tür. Sie blieb dort stehen, bis er eingetreten war und einen Blick in die Kochnische geworfen hatte, um sich davon zu überzeugen, dass Messer, Schere, Bügeleisen und Wasserkocher ordentlich auf der Spüle aufgereiht lagen. Diese Gegenstände galten als potenzielle Waffen. Fehlte etwas, konnte er sie schlagen
oder, was noch schlimmer war, auf der Schwelle kehrtmachen, um tagelang nicht zurückzukehren. Dann musste sie sich ihre Vorräte einteilen und den Gestank des Mülls ertragen.
    Es kam vor, dass Göstas Frau ihn holen kam, wenn sie fand, dass er zu lange bei ihr blieb, oder wenn sie mit ihm reden musste. Nichts befriedigte Ylva mehr. Wenn Marianne ihren Mann holen kam, stolzierte Ylva immer hocherhobenen Hauptes im Hintergrund herum.
    Marianne tat, als würde sie das nicht bemerken, aber Ylva wusste, dass es ihr zu schaffen machte.

    Mike Zetterberg hielt an einer roten Ampel. Er hatte gute Laune. Er war ruhig und fühlte sich stark. Wie immer, wenn er das Krankenhaus verließ. Er war jetzt zum fünften Mal dort gewesen und bereits bedeutend stabiler als bei seinem ersten Besuch auf der Station.
    Gösta Lundin war ein kluger Arzt, fürsorglich und warmherzig. Er bezeichnete sich als Florida-Rentner. Er war aus Stockholm zugezogen, um auf seine alten Tage ein bequemeres Leben zu führen. Die meisten Stockholmer zog es nach Österlen, aber Gösta und seine Frau Marianne verstanden nicht, was es für einen Sinn machen sollte, am selben Binnenmeer zu bleiben, in dem die Algen blühten, sobald das Wasser Badetemperatur erreicht hatte. Beide waren mit ihrer Wahl zufrieden und sehnten sich nicht in die Hauptstadt zurück.

    Fußgänger überquerten vor seinem Auto die Straße. Körper in Bewegung, Menschen, die irgendwohin unterwegs waren, im Fluss. Mike ging es recht gut. Das Leben war auf eine wunderbare Weise zurückgekehrt. Er konnte nicht behaupten, die Trauer habe sich abgeschliffen, aber sie war nicht mehr so allumfassend wie zu Anfang.
    Sanna war viel beschäftigt, sie wirkte geradezu rätselhaft harmonisch und unbekümmert. Mike wechselte so gut wie täglich ein paar Worte mit ihren Lehrerinnen, aber die langen Diskussionen, die es direkt nach Ylvas Verschwinden gegeben hatte, waren einer Art Ritual gewichen:
    »Alles in Ordnung?«, fragte Mike.
    »Ja, sieht so aus«, meinten die Lehrkräfte. »Starkes Mädchen.«
    Seine Mutter war ihm

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