Enthemmt!
“Oh, Charles …”
Er schiebt meine Hand weg.
“Ally, es ist zwei Uhr morgens. Ich bin müde.”
Zwar unterdrücke ich ein enttäuschtes Stöhnen, als ich mich auf die Seite rolle, doch dass Tränen meine Augen füllen, kann ich nicht verhindern.
Ich bin völlig verzweifelt.
Das erklärt auch, was ich an einem Nachmittag hier zu suchen habe – am Arbeitsplatz meiner Schwester –, statt in meinem Studio Filme zu entwickeln. Ich finde es auch fürchterlich, hier zu sein, obwohl ich ja mit dem Lebensstil meiner Schwester überhaupt nicht einverstanden bin, aber ich muss der Wahrheit nun mal ins Gesicht sehen – sie wird flachgelegt und ich nicht, also kann ich bestimmt das eine oder andere von ihr lernen.
Trotz siebenundzwanzig Grad habe ich mir einen Schal um den Kopf geschlungen und trage die größte und dunkelste Sonnenbrille, die ich besitze. Ich habe sie weder zu Hause noch auf dem Handy erreicht, deswegen gehe ich davon aus, dass sie arbeitet.
Der Club ist dunkel und verraucht, genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. In der Mitte des Raumes befindet sich eine große, mit Blaulicht beleuchtete Bühne. Es überrascht mich, dass an einem Mittwochnachmittag so viele Männer hier sind, ich muss mich umsehen, bis ich einen freien Tisch entdecke. Er befindet sich rechts von der Bühne.
Erst als ich mich gesetzt habe, betrachte ich die Stripperin. Die Frau mit dem langen schwarzen Haar trägt Strapse ohne Höschen. In ihrem Hüfthalter stecken Dollarnoten. Ich vermute, dass es sich bei dem Haar, das ihr bis zum Po reicht, um eine Perücke handelt. Mit lasziven Schritten bewegt die Frau sich auf die Stange in der Mitte zu, schlingt ein Bein darum und beginnt mit den Hüften zu kreisen, als ob es sich um einen riesigen Schwanz handelte. Ich beobachte sie gleichermaßen entsetzt und fasziniert. Nachdem sie sich einmal um die Stange geschwungen hat, beugt sie sich vor und drückt ihre ziemlich großen und mit Sicherheit unechten Brüste dagegen.
Nun setze ich doch die Sonnenbrille ab, weil meine Augen in dem dämmrigen Licht zu schmerzen beginnen. Verstohlen betrachte ich die Männer, die sie betrachten. Keiner von ihnen kann den Blick losreißen. Und ich muss zugeben, es ist schon unglaublich erotisch, wie sie sich an dieser Stange bewegt. Sie umfasst sie nun mit beiden Händen, beugt sich mit der Geschmeidigkeit eines Schlangenmenschen weit nach hinten und bietet den Männern einen herrlichen Blick auf ihre schweren Brüste. Ja, die Männer sind hypnotisiert. Manche von ihnen lecken sich sogar über die Lippen.
Vielleicht sollte ich eine solche Stange in unserem Schlafzimmer einbauen lassen. Die Idee ist zwar absurd, aber gar nicht so schlecht. Ich könnte Samera bitten, mir die Grundkenntnisse beizubringen …
Nun lässt sie sich an der Stange nach unten gleiten und schleicht auf allen vieren wie eine Katze zum Bühnenrand. Dort streckt sie noch ein paarmal die Beine aus oder wölbt sich nach hinten, streichelt ein paar Männern die Gesichter, bis sie schließlich aufspringt und die Bühne verlässt.
Ich blicke mich hastig im Club um. Ein paar Oben-Ohne-Bedienungen servieren Getränke, doch meine Schwester ist nicht unter ihnen.
Die ruhige Musik klingt aus und wird durch den pulsierenden Rhythmus von Christina Aguileras “Dirrty” ersetzt. Die nächste Stripperin mit wilder blonder Haarmähne und rotem Lederminikleid, dessen Reißverschluss bis zum Bauchnabel aufgezogen ist, stürzt auf die Bühne und schwingt eine Peitsche. Ich brauche einen kleinen Moment, bis ich begreife, dass es sich um meine Schwester handelt.
Der Rock ist so kurz, dass ich, als sie an mir vorbeikommt, mehr von ihrem Hintern als von dem roten Leder sehe. Sie trägt glänzende Lackstiefel mit mindestens fünfzehn Zentimeter hohen Absätzen, und es ist mir ein Rätsel, wie sie darauf überhaupt laufen kann.
Die Männer grölen und brüllen begeistert, als Samera die Peitsche auf den Bühnenboden knallen lässt. Ich schaue weg. Oh, Sammie. Warum tust du das? Warum machst du dich selbst zu einem Objekt?
Als ich wieder in ihre Richtung sehe, fliegen gerade Geldscheine auf die Bühne. Eine Menge Geld. Was meine Frage wohl beantwortet.
Ich weiß aber auch, dass Samera diesen Job wirklich gerne macht. Lange bevor sie dafür bezahlt wurde, sich auszuziehen, war sie schon ganz wild darauf, enge Klamotten zu tragen und die Reaktion der Männer zu beobachten. Besonders viel Spaß hatte sie mit dem zweiten Mann meiner Mutter, sie
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