Enthuellung
massive Doppelbett auf einem Podest, das verführerische Wonnen verspricht, und im Nebenzimmer erklingt eine Art Summer. Ich denke, das muss der kleine Lieferaufzug in der Küche sein, fast so etwas wie der Drive-through einer Bank.
»Höchstwahrscheinlich meine Nachrichten«, sagt Chris hinter mir, dann stellt er meine Taschen auf das Podest. »Ich bin gleich wieder da.« Er deutet auf eine Tür neben dem Badezimmer. »Das ist der Schrank. Nimm dir an Platz, was immer du möchtest. Nichts ist verboten.«
Nichts ist verboten.
Er lässt mich hier wohnen, während er fort ist – gleicht das nicht einer Einladung in sein Leben, in seine Geheimnisse? Es ist mehr als ein Olivenzweig. Es ist ein ganzer Baum.
Ich hocke mich neben den teuren Louis-Vuitton-Koffer, den Chris mir für unseren Ausflug ins Napa Valley am Wochenende zuvor gekauft hat, und öffne den Reißverschluss. Dann schüttle ich meine Handtasche von der Schulter und lege sie daneben. Im Koffer liegen die Tagebücher auf meinen Sachen, und auch die Schachtel, die ich aus Rebeccas Lagerraum mitgenommen habe. Ich wollte sie auf keinen Fall in meiner Wohnung lassen, weil ich das Gefühl hatte, dort könnten sie vielleicht in die falschen Hände fallen. Sie enthalten ihre Geheimnisse, und ich frage mich, ob sie auch die Geheimnisse einer anderen Person enthalten. Ich will sie gerade in Chris’ Schrank räumen, da fällt mir eine Passage ein, die ich gelesen habe.
Ich greife nach dem obersten Tagebuch mit Lesezeichen, gehe um das Podest herum und setze mich so darauf, dass ich von der Tür aus nicht gesehen werden kann. Ich ziehe die Knie an die Brust und beginne die vertraute Passage zu lesen, und die Worte kräuseln sich mit schmerzhafter Klarheit durch mich hindurch. Dies ist Chris’ Welt.
Plötzlich steht er vor mir, ragt hoch über mir auf. Ich spüre ihn in jeder Pore meines Leibs, noch bevor ich es wage, den Blick zu heben. Ich weiß, was ich tun muss, aber ich habe Angst. Ich habe ihm gesagt, ich hätte keine. Ich habe mir selbst gesagt, ich hätte keine. Aber ich habe Angst.
Chris kniet sich vor mich hin, und obwohl er das Tagebuch nicht ansieht, ist es das Schwert, das zwischen uns hängt. Er hat seine Jacke ausgezogen, und mein Blick fällt auf die leuchtende Farbe der Drachentätowierung an seinem rechten Arm. Ich berühre sie. Sie ist ein Teil von ihm, von seiner Vergangenheit, von seinem Schmerz. Ich will ein Teil von ihm sein, um wahrhaft zu verstehen.
»Was immer du in diesem Tagebuch gelesen hast, hat nichts mit dir und mir zu tun.«
Furcht schnürt mir beinahe die Luft ab, und ich sehe ihm nicht in die Augen. Ich zeichne diese Tätowierung nach, die leuchtend roten Flügel, die sich dehnen, als er seine Knie umfasst. »Das hat es sehr wohl«, flüstere ich.
»Hat es nicht.«
Ihm die Passage vorzulesen scheint die einzige Möglichkeit zu sein, ihn das Ganze verstehen zu lassen. Ich reiße den Blick von seinem Arm los und schaue auf Rebeccas Eintrag.
»Wie die Dornen an den Rosen, die er mir so gern schenkt, habe ich den Schmerz der Peitsche willkommen geheißen, die in meinen Rücken gebissen hat. Es ist die Flucht vor alldem, was ich verloren habe, vor alldem, was ich gesehen und getan habe und was ich bereue. Er gibt mir etwas. Er ist meine Droge. Der Schmerz ist meine Droge. Er fährt durch mich hindurch, und ich spüre nichts als den bitteren Biss des Leders und die süße Seide der Dunkelheit und Wonne, die folgt.«
Ich sehe Chris in die Augen.
Anspannung überläuft ihn, und er nimmt mir das Tagebuch ab und legt es auf den Nachttisch. »Wenn diese Tagebücher dich nicht zu mir gebracht hätten, würde ich den Tag verfluchen, an dem du sie gefunden hast.« Er umfasst mein Gesicht mit beiden Händen und zwingt mich, ihn anzusehen. »Du bist nicht Rebecca, und wir haben nicht die Art Beziehung, die sie mit Mark hatte, und werden auch niemals eine solche Beziehung haben.«
»Mark.«
»Ja, Mark.«
»Wie kannst du dir sicher sein?«
»Weil er nicht einfach glücklich mit jenen sein kann, denen dieser Lebensstil willkommen ist und die ihn dazu einladen. Er hat einen Hang dazu, unschuldige Frauen zu verleiten und sie als Subs einzuweisen. Er berauscht sich an seiner Macht.«
Im Hinterkopf habe ich noch viele Fragen zu Mark, aber jetzt ist nur Raum da für die Frage, wohin mich dies mit Chris führt.
»Und du? Hast du auch Subs eingewiesen?«
Er reibt sich das Kinn, dann streicht er mit den Händen über seine Beine. »Tu dir
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