Enthuellungen eines Familienvaters
Der Bursche wird dann auf der Straße zu den fernen Bergen wandern. Aber er wird auch stehenbleiben und hinter einem Busch ein kleines Ding finden, das ihn ruft. So ist das Leben: eines schönen Augenblicks sieht man sich an der Seite seiner Weggenossin auf einer grünen Wiese sitzen und auf ein kleines Wesen schauen, das mit einem winzigen Fuß im Mund schläft. Und man sagt lächelnd: „Margherita, unser Herr Sohn wird heute zehn Monate.“
„Nein, in zwei Monaten ist es ein Jahr“, antwortet Margherita. Und Giovannino ist angesichts dieser höchst einfachen arithmetischen Operation andachtsvoll verwundert wie Petrus angesichts der Vermehrung der Fische.
Alles ist von höchster Bedeutsamkeit, wenn es den Kleinen betrifft. „Giovannino, das Kind hat die Augen offen! — Giovannino, der Kleine macht so mit dem Zeigefinger! — Giovannino, der Bub hat eine Nase!“
Wie ist das geschehen?
Als ich eines Tages von der Arbeit heimkam — das Geheimnis des Erfolges in dieser ungewöhnlichen Stadt besteht darin, jeden Abend von der Arbeit heimzukommen —, fand ich mein Bett von einem kleinen unbekannten Wesen okkupiert. Mit Rücksicht auf das Vorangegangene und im Hinblick auf die Erläuterungen von Augenzeugen, welche der Ankunft der sonderbaren Kreatur beigewohnt hatten, folgerte ich, daß ich einen Sohn männlichen Geschlechts vor mir hatte.
Die süße Frau, die die Freuden und Leiden meines Einkommens teilt, hob den Kopf. „Na und?“ fragte sie. „Du sagst gar nichts?“
Ich fragte: „Ist Post gekommen?“
Als ich aus den finsteren Mienen im Umkreis schließen mußte, daß ich mich nicht gebührend zärtlich ausgedrückt hatte, trat ich an meinen Sohn heran, klopfte ihm tüchtig auf die Schulter und rief jovial: „Na, wie geht’s, mein Alter?“
Nach vier bis fünf Schreien, die zwischen Unwillen, Tadel, schmerzlicher Verwunderung und Abscheu variierten, drängten mich zwei robuste Hände energisch aus dem Zimmer. Ich machte einen Spaziergang durch die Stadt, und da ich wußte, wie erpicht die Kinder auf kandierte Früchte, Schokolade, Karamellen, Mandelgebäck und Likörbonbons sind, versorgte ich mich mit einem großen Vorrat an Süßigkeiten. Da ich ferner von Anfang an herzliche Beziehungen zu meinem Sohn herstellen wollte, kam ich dem Sportgeist der heutigen Jugend entgegen und kaufte ihm ein Fahrrad.
Ich erstand auch ein Paket leichter Zigaretten; die wollte ich ihm gelegentlich zustecken, wenn’s die Mutter nicht merkte.
Wie ein Maulesel beladen kam ich nach Hause zurück; aber ich muß leider gestehen, daß meine aufgeschlossene Haltung nicht gewürdigt würde. Denn als ich meinem Sohn ein Stück Mandelkuchen anbot, schrie man mir von verschiedenen Seiten entgegen, ich sei verantwortungslos und würde in meiner Sucht nach Originalität vor einem Mord nicht zurückschrecken. Da setzte ich mich in eine Ecke und beobachtete meinen Sohn. Seine Mutter sagte immer wieder, er sei ein Wunder, aber auf mich machte er keinen sehr günstigen Eindruck; ich muß gestehen, daß ich nur mit großer Mühe dahinterkommen konnte, was die Nase und was der Mund war.
Kinder haben eine seltsame Macht; sie locken magnetisch Verwandte herbei. Wenn ein Kind geboren wird, strömen auch die entferntesten Angehörigen an seine Wiege. So füllte sich am Nachmittag die Wohnung. Das winzige Wesen wurde aufmerksam betrachtet. Hierauf sagte Frau Flaminia, es sei ganz sein Vater. Herr Luigi brach in Lachen aus: Nicht einmal im Traum! Das Kind war ganz seine Mutter. Es gab eine kurze stürmische Diskussion, an deren Ende Frau Flaminia mich am Arm packte, vor das Bett zog und die wichtigsten Partien meines Gesichtes zu Vergleichszwecken vorführte. Kusine Francesca versicherte kurz und bündig, die Nase und das Kinn seien von mir, aber alles Übrige habe er von der Gefährtin meines Lebens. Mein Bruder schwor, daß man sich auf einem vollkommen falschen Wege befinde und daß sein Neffe das sprechende Ebenbild des armen Großvaters Giacomo sei. Schwägerin Maria hinwiederum gab ihrer Überzeugung Ausdruck, das Kind und die arme Großmutter Giuseppina glichen einander wie ein Apfel dem andern.
Als wieder Schweigen eingetreten war, entschied Frau Flaminia, die Nase sei von mir, der Mund von der Frau, die mich zum Vater gemacht hatte, das Kinn vom armen Großvater, die Kopfform von der armen Großmutter, die Ohren vom Onkel Josua, der Gang von der Tante Christina, die Hände von der armen Großmutter Giuseppina. Bezüglich der
Weitere Kostenlose Bücher