Enthuellungen eines Familienvaters
Augen legte man sich nicht fest, weil sie noch geschlossen waren. Die Augenlider jedoch hatte mein Sohn vom armen Onkel Filippo.
Ich entfernte mich verstohlen; auf dem Treppenabsatz des dritten Stocks traf ich Frau Camilla und Frau Rosina, die mich aus nächster Nähe studierten, dann seufzten und den Kopf schüttelten. Keinerlei Ähnlichkeit mit der Mutter! Armes Baby! Der Briefträger, der eben hinaufgehen wollte, klopfte mir väterlich auf die Schulter. „Lassen Sie sie reden“, tröstete er mich in der rauhen und kräftigen Sprache der Leute aus dem Volk. „Wer nicht sieht, daß er Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten ist, der ist entweder blind oder ein Verbrecher!“ Der Milchmann schloß sich hingegen, nachdem er mich eingehend gemustert hatte, der Meinung des Dienstmädchens vom ersten Stock an: das Kind sah Garibaldi ähnlich; wenn es erst einmal Bart und Schnurrbart habe, würde das sonnenklar sein.
Die Hausbesorgerin hatte mich kaum erblickt, als sie zu schreien anfing: „Frau Zelinda, Marietta, Franceschina! Kommt und schaut, ob ich recht habe oder nicht! Von der Nase aufwärts ganz sein Vater!“ Die Zeitungsfrau, eine Kinonärrin, versicherte mir beim Überreichen der „Stampa“, das Kind sei für sie das vollkommene Abbild von Gary Cooper.
Ich schlenderte bis zum Abend umher und kaufte für meinen Sohn verschiedene lehrreiche Bücher. Dann kehrte ich nach Hause zurück. Aus dem Schlafzimmer drang der Lärm einer lebhaften Diskussion. Frau Flaminia rief gerade, der beste Beruf für einen Mann sei heute der des Arztes. Luigia schwor, wenn sie einen Sohn hätte, würde sie aus ihm einen Ingenieur machen. Herr Luigi versicherte, jeder Beruf sei ehrenhaft, und auch ein tüchtiger Drechsler sei nicht zu verachten.
Kann man auf die Zukunft eines Säuglings Hypotheken aufnehmen? Kann man beim Anblick eines winzigen Wesens, das einen winzigen Fuß in den winzigen Mund steckt, sagen: „Er interessiert sich für Füße, er wird Schuhhändler werden?“
Ich weiß nicht, was mein Herr Sohn werden wird.
Das einzige, was ich vorläufig sagen kann, ist: er hat schon einen Charakter. Das wurde mir ganz besonders klar, als Margherita mich mit ihm und einem Dienstmädchen allein zu Hause ließ. Gegen 15 Uhr vollzog die süße Frau — die einst einen Junggesellen unter dem Vorwand, er solle dort wertvolle klassische Wand-malereien bewundern, in eine Kirche lockte, die er kurz darauf fürs Leben gebunden verließ — die feierliche Übergabe: eine Wohnung von vier Räumen, gereinigt und in gutem Zustand, ein Dienstmädchen von 25 Jahren und einen schlafenden Sohn von 0,9 Jahren. Als sie hierbei, die Hände voll Kochtöpfe und Deckel, an die Wiege des erwähnten Schläfers herantrat, ließ sie alles zu Boden fallen. Ungeachtet des entsetzlichen Getöses bewegte sich der Schläfer nicht um einen Millimeter. „Das lob’ ich mir“, triumphierte die vortreffliche Frau. „Um ihn aufzuwecken, müßte man wenigstens Einundvierziger-Mörser neben ihm abschießen.“ Sodann ging sie mit ruhigem Gewissen fort, und ich widmete mich, behaglich im Lehnstuhl ausgestreckt, der Lektüre. Zehn Minuten später ließ ich das Buch fallen und war mit einem Sprung auf den Beinen. „Marietta!“ Marietta zeigte sich an der Tür meines Arbeitszimmers.
„Marietta, es ist Zeit, das Essen herzurichten. Hörst du nicht die Fünf-Uhr-Sirene?“
„Das ist nicht die Fünf-Uhr-Sirene, gnädiger Herr. Das Kind ist aufgewacht“, erläuterte Marietta.
Von der Straße drang ein sonderbares Stimmengewirr herauf. Eine dichtgedrängte Menschenmenge hatte sich angesammelt.
„Es brennt!“ riefen sie, „gleich wird die Feuerwehr kommen!“
„Man muß die Leute beruhigen“, fand ich, lief ins Schlafzimmer, hob das darin befindliche heulende Wesen in die Höhe, trat auf den Balkon und zeigte es der Menge.
Die Menge sah ihren Irrtum ein und löste sich auf. Als aber das Kind nicht ein bißchen nachließ und neue Mengen sich beunruhigt vor dem Hause anzusammeln begannen, griff ein Schutzmann ein und erklärte der Bevölkerung, daß es sich nicht um einen Brand handle, sondern um das Kind aus dem vierten Stock.
Mir schien, als hätte der Schelm keine Lunge, sondern eine von einem 80-PS-Motor angetriebene Turbine in der Brust. Das Geheul, das ohne Unterlaß aus dieser sehr winzigen rosigen Kehle kam, klang wie das Dröhnen eines Vulkans, das man vom Baßschlüssel in den Violinschlüssel transponiert hatte.
Dem Rat folgend, den mir die
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