Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovannino Guareschi
Vom Netzwerk:
Bewohner des Stadtviertels von ihren Fenstern aus zuschrien, rief ich eilends einen Arzt.
    Acht Minuten später kam der Arzt, untersuchte den Kleinen genau und überreichte mir ein Rezept für Brom.
    „Brom für ein Kind?“ fragte ich staunend.
    „Nein, für Sie und Ihre Nachbarn. Das Kind ist vollkommen gesund; um es vom Weinen abzubringen, müßte man ihm mit einem Hammer auf den Kopf schlagen.“
    Ich versuchte alles, um das Kind zu beruhigen; ich stellte es auf die Beine, legte es horizontal, vertikal, diagonal. Ich ließ den Wecker läuten, schaltete das Grammophon und das Radio ein. Ich zerbrach einen Teller, ein Glas, ich ließ eine Glühbirne zerknallen, ich gab zwei Schüsse aus dem Revolver ab. Meine rechte Nachbarin phantasierte auf dem Klavier, mein linker Nachbar geigte einen Csardas. Es war, als würde man Benzin ins Feuer gießen.
    Um 16.35 stopfte das Dienstmädchen ihre Habe in einen Sack und verließ das Haus.
    Um 16.52 kamen zwei Polizisten und fragten mich, ob hier eine Greisin umgebracht werde.
    Um 17 Uhr packten die Bewohner des zweiten Stocks einige Koffer und verreisten an die See.
    Alsbald trat in meinem Zimmer eine Kommission von Familienvätern und -müttern zusammen, um die Ursachen der akustischen Katastrophe festzustellen und Gegenmaßnahmen zu erwägen.
    Nach zwanzigminütiger Debatte war alles klar: Das Kind wollte die Mama. Zehn Frauen versuchten, die süße Frau nachzuahmen, die den Erben meines Namens hergestellt hatte. Vergeblich! Der junge Mann ließ sich nicht täuschen.
    Nun beschloß ich, alles auf eine Karte zu setzen.
    Ich legte das Wesen auf einen Berg von Kissen, zog mich ins Schlafzimmer zurück und verkleidete mich. Ich zog den geblümten Morgenrock der süßen Frau an, die mich zum Vater gemacht hatte, ich polsterte mich ein bißchen aus, kämmte meine Haare in die Augen, band mir ein Seidentaschentuch auf den Kopf und verschönte meine Züge mit ockergelbem Chypre. Dann stellte ich mich der Versammlung zur Prüfung.
    „Zuviel gepolstert“, fand die Dame vom zweiten Stock. „Ihre Frau Gemahlin sieht ja noch ganz gut aus, aber nichts dauert ewig.“
    „Sie müssen sich die Lippen schminken. Die geschminkten Lippen sind ein Hauptmerkmal Ihrer Frau Gemahlin“, behauptete die Dame vom dritten Stock. „Wenn man wollte, könnte man weiß Gott etwas weniger des Guten tun, denn sobald man Kinder hat Der Herr vom vierten Stock warf ein: „Sie müssen sich rasieren...“ — „Aber keineswegs doch“, protestierten die drei Damen vom ersten Stock. „Bart und Schnurrbart sind ja ein Hauptmerkmal der gnädigen Frau... Übrigens immer noch besser, als sich das Gesicht mit Enthaarungsmitteln zu ruinieren...“
    „Sie müßten mit dem linken Auge ein bißchen schielen“, unterbrach die Dame vom sechsten Stock, „ich finde, das Hauptmerkmal Ihrer Gattin ist das schielende linke Auge.“
    Ich hatte das noch nie bemerkt, ich hätte sogar geschworen, es sei nicht wahr. Aber die Dame vom fünften Stock erklärte mir alles: „Man sieht, daß Sie sie nach dem Profil geheiratet haben. Auf jeden Fall ist die Vollkommenheit nicht von dieser Welt. Und: schön ist nicht das, was schön ist, sondern das, was gefällt.“
    Gegen 17.25 war ich fertig, mit roten Lippen, das linke Auge ein wenig schielend, weniger gepolstert. Nun zeigte sich ein schwieriges Problem: die Stimme. Man konnte dem Kind in optischer, aber gewiß nicht in akustischer Hinsicht etwas vormachen.
    Nach eingehender Diskussion wurde eine Verdoppelung beschlossen: ich sollte die Lippenbewegungen machen, und Frau Rosetta sollte, hinter mir verborgen, die Stimme der süßen Frau nachahmen, die in mir einen Familienvater sehen wollte.
    „Hoffentlich treffe ich das Krächzen“, erklärte Frau Rosetta. „Man kann sagen, daß die krächzende Stimme das Hauptmerkmal Ihrer Frau Gemahlin ist.“
    Um 17.40 näherte ich mich mit kleinen Schritten dem Kind, das unaufhörlich heulte, als sei die Hölle in Aufruhr, und nahm es auf den Arm. Dann begann ich die Lippen zu bewegen, und Frau Rosetta begann zu sprechen: „Dididididi, dududududu, dadadadada, dililidi...“
    Das Kind hörte auf zu schreien und sah mich mit größtem Ernst an. Schließlich lehnte es den Kopf an meine Schulter und blieb stumm...
    Als dann Margherita fünf Minuten später heimkam, begann es zu heulen, indem es sich fest an mich klammerte. Es konnte die Tatsache absolut nicht ertragen, daß es außer der, die es auf dem Arm hielt, noch eine andere Mutter

Weitere Kostenlose Bücher