Enthuellungen eines Familienvaters
ließ den Wecker und betrachtete mit größtem Interesse die Maschine. Es war eine Spanne lang und wog so viel wie eine Nuß; ich setzte es auf den Wagen der Maschine und schrieb weiter. Es unterhielt sich; wenn es die Glocke läuten hörte, schaute es mich an und lachte. Bald wartete es mit erhobenem Finger darauf, daß die Glocke läutete. Ich begann, schneller zu schreiben, dann noch schneller, damit die Glocke öfter läutete.
„Ich werde dich Giacomino nennen“, teilte ich dem Kind mit; und der Knirps streckte die Arme nach mir aus — er war schläfrig.
Ich steckte ihn zum Schlafen in eine Tasche meines wollenen Schlafrocks. Dann verschloß ich die Tasche mit einer Sicherheitsnadel und hängte den Schlafrock an den Kleiderhaken meines Arbeitszimmers. Zwei Monate leistete mir Giacomo Gesellschaft. Jede Nacht nahm ich ihn aus der Tasche meines Schlafrocks und setzte ihn auf den Wagen der Schreibmaschine. Und Giacomino saß ruhig und unbeweglich da; und wenn die Glocke läutete, hob er den Arm, schaute mich an und lächelte.
Er war eine Spanne lang und wog soviel wie eine Nuß. Er sprach nie, er weinte nicht, er war eine schweigende kleine Seele. Er flog nicht einmal herum; er saß auf dem Wagen meiner Schreibmaschine und wartete auf das Läuten der Glocke.
Einmal glitt seine Hand über das Papierblatt; ich hämmerte mit gesenktem Kopf auf die Tasten, und als ich bemerkte, daß in der letzten Zeile ein ganzes Wort fehlte, war es zu spät. Das Wort stand auf der Hand Giacominos. Es war ein banales Wort: „Pfeife.“ Giacomino weinte nicht. Ich verband seine kleine Hand mit einem Stück Taschentuch und konstruierte aus einem Stück Eisendraht ein Schutzgeländer auf dem Wagen der Schreibmaschine.
Wenn am Sonntag die Sonne schien, bestieg ich mein Rad. Giacomino war in meiner Weste verborgen. Wenn wir dann auf eine einsame Wiese kamen, band ich eine lange Schnur an Giacominos Arm und ließ ihn fliegen.
Jetzt schaut mich Giacomino nicht mehr vom Wagen der Schreibmaschine lächelnd an; gestern abend hat man ihn abgeholt.
Es war wieder kurz nach Mitternacht. Irgend jemand klopfte ans Fenster. Ich öffnete, und herein kam eine junge Frau in einem langen weißen Hemd und mit Flügeln an den Schultern.
„Seit zwei Monaten suche ich ihn schon“, erklärte sie mir. „Wir sind beide von einem Balkon im vierten Stock gefallen. Erinnern Sie sich? Es stand am nächsten Tag im ,Corriere’ “, fügte sie nicht ohne Eitelkeit hinzu. „Auch er war in der Zeitung. So klein und schon in der Zeitung! Wir sind beide vom vierten Stock gestürzt; ein Geländer war gebrochen. Aber er ist zehn Minuten vor mir dahingegangen, und es gelang mir nicht mehr, ihn zu finden. Er hatte sich verirrt. Zwei Monate habe ich gesucht, und jetzt habe ich ihn gefunden. Ich danke Ihnen, mein Herr.“
Die junge Frau nahm ihren Giacomino in den Arm und ging fort. Aber Giacomino weinte und streckte die Hände nach der Schreibmaschine aus; er wollte bei mir bleiben und die Glocke läuten hören.
Ich schloß die Fensterflügel und nahm meine Arbeit wieder auf. Verwünscht, was es mich jetzt für Mühe kostet, auch nur zwei Worte aufs Papier zu bringen, seit mir Giacomino nicht mehr vom Wagen der Maschine zuschaut.
Aber ich bin’s zufrieden. Ich muß mir zumindest einreden, daß ich zufrieden bin.
Wer weiß, was der liebe Gott sagen wird, wenn er auf Giacomos Händen das Wort „Pfeife“ sieht? Es mir nicht gelungen, es auszuradieren. Man sollte niemals mit einem kopierfähigen Farbband schreiben!
Ich wollte von einer sonderbaren Begebenheit erzählen, und ich weiß nicht recht, ob es mir gelungen ist.
Aber was kann ich da machen? Seit Giacomino mir nicht mehr vom Wagen der Maschine zuschaut, muß ich mich schrecklich abmühen, auch nur einen Satz zusammenzubringen.
Doktor G. B. wollte an jenem Abend ausgehen, aber er tat nicht gut daran. Denn an der Ecke der dritten Seitengasse erwartete ihn Gimmi.
Genau genommen wartete Gimmi nicht gerade auf Doktor G. B.; Gimmi wartete einfach auf irgendeinen, um ihm die Geldtasche zu ziehen. Der erste, der ihm in den Weg lief, war der Doktor, und dies mißfiel den Familienangehörigen des Doktor G. B., es mißfiel aber auch den Angehörigen Gimmis: Als sie sich nämlich einander gegenüber sahen, hielt es sowohl Doktor G. B. als auch Gimmi für die einzige Möglichkeit, die Pistole zu ziehen und zu feuern. Sie schossen, solange sie konnten. Dann stürzten sie aufeinander und versuchten vergeblich,
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