Entmündigt
Polster seines Platzes und legte den Kopf auf die Nackenlehne.
»Du bist frei!« sagte er, als Gisela neben ihm saß. Er tastete nach ihrer Hand und umklammerte sie. »Ich bin so glücklich, Liebes …«
Als die Maschine anrollte und die vier Motoren aufheulten, hörte es Dr. Budde nicht mehr. Er war wieder besinnungslos.
Gisela starrte durch das runde Fenster hinab auf die verschneite Erde, die unter ihr wegglitt und kleiner und kleiner wurde. Ein paar Lichter nur noch, ein Scheinwerfer, dann Finsternis.
Ein neues Leben … eine neue Welt … und Freiheit … Freiheit …
Erst nach neun Uhr morgens entdeckte man, daß Gisela Peltzner nicht mehr in ihrem Zimmer war. Die Stationsschwester hatte die Läden am Morgen geöffnet, das aufgestoßene Fenster gesehen und sich keinerlei Gedanken darüber gemacht. Als sie an die Tür geklopft hatte, um das Frühstück hereinzubringen, und keine Antwort bekam, hatte sie erst gedacht, daß Gisela noch schlafe. Sie hatte leise die Tür geöffnet, ins Zimmer gesehen, das zerwühlte Bett leer entdeckt, das Tablett auf den kleinen Couchtisch gestellt und das Zimmer wieder verlassen. Gisela würde auf der Toilette sein oder sich in der Badekabine duschen. Das machte sie öfters, mit Erlaubnis des Oberarztes, der ihr alle Freiheiten ließ, als wäre sie eine Gesunde …
Um neun, als die Schwester abräumen kam, stand das Tablett noch unberührt neben dem Bett. Es war der Augenblick, in dem sie auf die Bettkante sank und die rechte Hand hilflos gegen den Mund preßte.
»Das … das ist unmöglich«, sagte sie laut. »Das kann nicht sein …«
Sie rannte aus dem Zimmer hinaus und zum Bad. Es war leer. In keinem anderen Zimmer der Station hatte man Gisela Peltzner gesehen. Vom Keller bis zum Trockenraum durchsuchte die Stationsschwester mit einer Schwesternhelferin den Pavillon. Dann war es niederschmetternd offensichtlich: Gisela Peltzner war in der Nacht aus der Anstalt geflüchtet.
Mit zitternden Fingern wählte die Stationsschwester die Rufnummer des diensttuenden Arztes. Dr. Heintzke meldete sich. Er hatte eine ruhige Nachtwache gehabt und war bester Laune.
»Na, wo brennt's?« fragte er. »Nimmt wieder einer die Möbel auseinander?«
»Sie ist weg!« stotterte die Schwester. Sie lehnte sich an die Wand, ihre Knie wurden weich und konnten den Körper nicht mehr tragen. »Weg ist sie … in der Nacht …«
Dr. Heintzke schlug die Meldung wie eine Faust auf seinen Kopf. Er dachte an die beiden psychopathischen Mörder. Nun war ein dritter Fall ausgebrochen … während seiner Nachtwache.
»Schweinerei!« brüllte er. »Wer ist es denn?«
»Fräulein Peltzner …«
»O Himmel! Die Prunkpatientin des Chefs! Warum rufen Sie denn jetzt erst an?«
»Ich habe es erst jetzt bemerkt! Ich dachte …«
Dr. Heintzke unternahm sofort die notwendigsten Schritte. Er rief Oberarzt Dr. Pade an, der noch mit einem ziemlich schweren Kopf im Bett lag, und er verständigte Professor v. Maggfeldt, der eine Hühnerbouillon trank, um den schalen Alkoholgeschmack von der Zunge zu bekommen.
Fast gleichzeitig trafen die beiden Alarmierten in der Klinik ein. Dr. Pade fuhr zum Pavillon 23, während Maggfeldt in das Hauptgebäude stürmte, die Nachtwache zusammentrommelte und in den wenigen Minuten des Alleinseins sich überlegte, was dieser neue Vorfall bedeuten konnte und würde.
Die Staatsanwaltschaft mußte benachrichtigt werden.
Ewald Peltzner mußte verständigt werden.
Die Kriminalpolizei würde sich einschalten.
Die Presse griff den Fall auf. Die berühmte Schuldfrage würde wieder gestellt werden, und es war schon jetzt sicher, daß sie bei Maggfeldt und seinen Ärzten hängenblieb.
Dr. Pade kam ins Chefzimmer. Im Vorzimmer warteten Dr. Heintzke, die Nachtschwestern und die Schwestern von Pavillon 23. Pade hatte sie im Vorzimmer stehenlassen. Er wollte zunächst allein mit Maggfeldt sprechen.
»Was nun?« fragte der Professor, als sein Oberarzt die Tür hinter sich zuzog. »Wenn ich an die kommenden Tage denke …« Er schwieg. Sein von den weißen Haaren umrahmtes Gelehrtengesicht war wie zerknittert. Er verbarg seine Hilflosigkeit nicht. Was hatte es auch für einen Sinn? Gisela Peltzner war aus der Anstalt geflüchtet. Daß so etwas geschehen konnte, würde ihm eine Anklage eintragen.
»Ich habe alles genau untersucht, Herr Professor«, sagte Dr. Pade, ohne seinen Chef voll anzusehen. »Ich komme von P 23. Fräulein Peltzner ist entführt worden …«
»Was ist sie?« schrie
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