Entmündigt
Bevor sie Unheil anrichtet!«
»Unheil? Bei wem?«
»Bei uns allen!« Peltzner wurde ruhiger. Aus zusammengekniffenen Augen sah er Maggfeldt an. »Wir alle sitzen in der Tinte«, sagte er heiser. »Sie genauso wie ich! Sie haben Gisela in Ihrer Klinik behandelt und bei sich behalten, weil sie gefährlich ist! Sonst hätte man sie ja entlassen können, nicht wahr? Sie haben durch Ihr Obergutachten ihre Entmündigung durchgesetzt. Sie muß also sehr krank sein, nicht wahr? Ein so großer und berühmter Mann wie Sie kann und darf sich ja nicht irren. Oder doch? Besteht die Psychiatrie nur aus Irrtümern? Sie werden alle verfügbaren Mittel einsetzen müssen, um meine Nichte unschädlich zu machen … schon in Ihrem Interesse.«
Professor v. Maggfeldt hatte einen Augenblick lang eine wahnsinnige Lust, mit beiden Fäusten in das dicke Gesicht vor sich zu schlagen. Mit grauenhafter Deutlichkeit hörte er aus den Worten, die wie Schläge auf ihn niederprasselten, daß es einer Handvoll Menschen gelungen war, ihn auszunützen und zu täuschen. Alles, was Gisela Peltzner ihm gesagt hatte und was er als Ausdruck einer Wahnidee gedeutet hatte, entsprach der Wahrheit. Er hatte es nie glauben können, weil seine Ehrlichkeit es unmöglich machte, solche Gemeinheiten zu verstehen.
»Ich hatte zwei Fachgutachten bei der Einweisung!« sagte er. Und während er es sagte, wußte er, wie dumm diese Verteidigung war. »Sie haben mich 20.000 Mark gekostet! Nun kann ich es Ihnen sagen. Sie sind Komplize geworden, und ich …«
Maggfeldt schloß einen Augenblick die Augen. Die nackte Wahrheit war so fürchterlich, daß er kaum Luft bekam.
»Gehen wir!« sagte er tonlos. »Die Presse wartet auf uns. Ich muß eine Erklärung abgeben.«
»Ich werde auch etwas dazu sagen!« sagte Peltzner.
»Es steht Ihnen frei …«
Der Brief, den Dr. Budde im Schnee beim Herunterfallen von der Mauer verloren hatte, wurde in Gegenwart der Presse geöffnet. Der Vertreter der ›Tagespost‹, an deren Adresse der Brief gerichtet war, stand dabei, um mitzulesen, was Dr. Pade laut vorlas:
»Ich habe Fräulein Gisela Peltzner, die seit Monaten als völlig Gesunde unter Irren leben mußte, weil sie durch Intrigen und Habgier, mit Hilfe gekaufter Gutachten, entmündigt und zur Geisteskranken gestempelt wurde, aus der Anstalt herausgeholt. Wir wollen die Freiheit nur zu dem Zweck benutzen, um in aller Offenheit und ohne Angst, daran gehindert zu werden, die Wahrheit zu sagen, und diejenigen zur Rechenschaft für ihre Verbrechen ziehen, die diese Gemeinheit begangen haben. Wir lassen wieder von uns hören … von einem sicheren Ort aus, wo niemand uns finden wird.
Dr. Budde.«
In dem großen Saal war völlige Stille, als Dr. Pade endete. Aller Augen waren auf Maggfeldt und Ewald Peltzner gerichtet, der mit perlendem Schweiß auf der Stirn hinter ihm stand. Der Pressevertreter drehte sich langsam zu dem Professor um.
»Nun?« fragte er. »Was sagen Sie dazu?«
»Es war ein Verzweiflungsschritt!« Der Professor atmete schnell. »Ich wünschte, Fräulein Peltzner hätte mehr Vertrauen zu uns gehabt. Es wird sich alles klären …«
»Ihr Obergutachten aber liegt doch vor, Herr Professor. Sie haben bescheinigt …«
»Ich weiß, was ich geschrieben habe.«
»Und nun dieser Vorwurf!«
Ewald Peltzner schob sich in den Vordergrund. Sein massiver Körper schien förmlich den ganzen Raum auszufüllen.
»Das Problem ist gar kein Problem!« sagte er laut. »Als vom Gericht eingesetzter Vormund meiner armen Nichte muß ich eine Erklärung abgeben. Meine Nichte Gisela ist von einem manisch-depressiven Irresein befallen, das sich mit Wahnideen und Psychosen koppelt. Sie ist ein sehr, sehr schwerer Fall, bei dem Passagen völligen Normalseins mit Schüben von unheimlichen Ausbrüchen vorkommen. Es handelt sich um eine Erkrankung, die man mit Fug und Recht als ›gemeingefährlich‹ bezeichnen kann. Der Entführer, dieser Dr. Budde, war der Verlobte meiner Nichte und handelte damals – wie heute – aus eigennützigen Motiven. Er will ihr großes Vermögen in seine Tasche bringen. Deshalb die Entführung, deshalb die sinnlosen Anklagen. Wir haben die Gutachten von drei bekannten ärztlichen Persönlichkeiten … ich glaube, das dürfte genügen! Ein Arzt kann sich einmal irren … er ist auch nur ein Mensch … aber drei Ärzte, unabhängig voneinander? Es bedarf da keinerlei Kommentare mehr! Ich erkläre, daß eine gemeingefährliche Irre ausgebrochen ist und
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