Entmündigt
Wissen Sie, was geschehen kann?«
»Ich ahne es.«
»Nichts können Sie ahnen! Das übertrifft alle Phantasie! Auf alle Fälle können wir nicht tatenlos zusehen …«
Ewald Peltzner fiel sichtlich zusammen.
»Wir müssen etwas unternehmen!« sagte er dumpf.
»Was?« fragte Dr. Hartung stur.
»Bin ich Rechtsanwalt?« schrie Peltzner auf. »Bezahle ich Sie, damit Sie hier hilflos herumstehen und stammeln?«
»Laß Gerd in Ruhe, Papa«, sagte Monique. Sie wischte ihre mit Honig beschmierten Finger an der Serviette ab, nachdem sie ihre Hand in eine Wasserschale getaucht hatte. »Ich will nicht, daß du Gerd anschreist!«
»Halt's Maul!« brüllte Peltzner. »Aufs Zimmer mit dir!«
»Nein!« Monique setzte sich trotzig auf einen Stuhl mitten in der großen Frühstückshalle. »Gerd wird gleich mit mir zum Hallentennis fahren …«
»Dein Vermögen ist in Tunis!« schrie Peltzner wild. »Deine Zukunft ist gestohlen worden …!«
»Meine Zukunft? Was interessiert mich die Fabrik? Ich werde Gerd heiraten … alles andere geht mich nichts an!«
In dumpfer Wut blieb Peltzner allein in seiner Villa zurück. Er wurde erst ruhiger und flüchtete sich in ein gemeines Lächeln, als er einen großen Wagen vorfahren sah. Anna Fellgrub und ihr Sohn Heinrich sprangen heraus und rannten zum Eingang der Villa.
»Willkommen!« rief Peltzner, als seine Schwester und sein Neffe in die Halle stürmten. Er sah ihren bleichen Gesichtern an, daß die Meldungen der Morgenzeitungen sie um alle Fassung gebracht hatten. »Kommt ihr, um euren Anteil an der Schuld abzuholen? Er steht euch zur Verfügung wie die Millionen, die ihr dadurch bekommen habt …«
*
Thala liegt südlich Kairuans am Rande des Dschebel Chambi. Es ist eine Oase mit einigen tausend Palmen, zwei Brunnen, niedrigen, aus Lehm gebauten Araberhäusern mit flachen Dächern, einer kleinen Kaserne mit einem Lazarett und einer großen Karawanserei, in der die Kamelkarawanen übernachten, die täglich von allen Richtungen aus der Wüste kommen oder in die Wüste ziehen.
Im Lazarett der 3. Jägerkompanie, am Rande Thalas, wo der Blick sich verliert in der Weite der Steinwüste und dem vor Hitze flimmernden Himmel, lag in Zimmer 4 in einem Gipskorsett Dr. Klaus Budde.
Er fühlte sich wohl, solange er nicht versuchte, sich zu bewegen. Die Röntgenbilder, die ihm der Militärarzt gezeigt hatte, waren überzeugender als alle Bitten Giselas: Entweder liegen und ausheilen – oder ein Krüppel bleiben, zeit seines Lebens.
Aus Kairuan hatte Paul Burkhs die deutschen Zeitungen gebracht, die jeden Tag nach Tunis geflogen wurden. Sie waren voll von der Flucht einer ›gemeingefährlichen Irren‹ und ihres ›skrupellosen Liebhabers‹, der es nur auf ihr Geld abgesehen hatte.
»Das ist Onkel Ewalds neue Gemeinheit!« sagte Gisela, als sie die Berichte gelesen hatte. »Ich werde an alle Zeitungen schreiben! Ich werde nicht stumm bleiben! Ich werde dafür sorgen, daß man die Wahrheit endlich glaubt!«
Dr. Budde lächelte schwach und streichelte ihre Hand.
»Wenn das so einfach wäre mit der Wahrheit …«, sagte er leise. »Wir sind geflüchtet … und das nimmt man uns übel. Und wer übelnimmt, will nichts von der Wahrheit wissen.«
»Aber da ist doch gar keine Logik! Wir sind doch geflüchtet, um endlich in Freiheit die Wahrheit sagen zu können …«
»Logik!« Dr. Budde lächelte. »Komm, Gisela, gib mir einen Kuß. Das ist wenigstens Wirklichkeit. – Logik! Vernunft! Wahrheit! Hast du diese drei Schwestern schon einmal einig gesehen? Na also … und darum komm und küß mich …«
Vom Minarett der kleinen Lehmmoschee sang der Muezzin die Abendstunde ein. Seine Stimme zitterte über die Palmen, die flachen Dächer, die Brunnen und die Gärten bis hinaus in die steinige Wüste. Die Bewohner von Thala und die Nomaden beugten die Köpfe nach Osten. Ein Tag war vorbeigegangen, und Allah hatte es gut mit ihnen gemeint. Sie lebten weiter.
Es klopfte an der Tür. Der Arzt der 3. Jägerkompanie trat ins Zimmer. Er sah, wie der Kopf Giselas schnell vom Gesicht Buddes emporzuckte.
»Nicht stören lassen!« sagte Dr. Ben Mullah und lachte breit. »Wer eine Frau küßt, tut seiner Seele gut, sagt Mohammed, der Prophet …«
Dr. Ben Mullah setzte sich neben Budde ans Bett und holte aus der Tasche seiner Uniform einige zusammengefaltete Zeitungen. Sie waren mit der letzten Maschine aus Deutschland gekommen.
»Würde ich Sie nicht persönlich kennen«, sagte er gedehnt, »und
Weitere Kostenlose Bücher