Entmündigt
wenn ich Mademoiselle Gisela nicht alles, was sie sagt, glaubte, könnte ich unsicher werden! Was die Zeitungen hier schreiben …«
»Sicherlich, daß ich verrückt bin!« rief Gisela bitter. Dr. Ben Mullah nickte.
»Mehr als das: Sie sind eine Gemeingefahr! Die deutschen Behörden suchen Sie und haben offenbar alle Hebel in Bewegung gesetzt. Bitte, hören Sie selbst!« Er faltete eine der Zeitungen auseinander und las langsam daraus vor:
»Gisela Peltzner ist eine gemeingefährliche Geisteskranke, die bei einer Gegenwehr zu allem fähig ist. Besondere Vorsicht ist am Platze, da sie durch ihren Entführer Budde in den Besitz von Waffen gelangt sein kann. Sie wird ohne Warnung davon Gebrauch machen …«
»So eine Gemeinheit!« Gisela senkte den Kopf. Sie weinte und tastete mit der Hand nach den Fingern Buddes.
»Das schreibt eine deutsche Zeitung!« Dr. Ben Mullah warf die Blätter in eine Ecke des Raumes. »Sensationsmache – weiter nichts!« Dann beugte er sich über Dr. Budde, nahm dessen Handgelenk und fühlte den Puls. »Ob es aber richtig war zu flüchten?« fragte er dabei. »Gab es keine andere Möglichkeit? Deutschland ist doch ein Rechtsstaat!«
»Wenn eine Behörde irrt und das zugeben muß, schließt sie Augen und Ohren.«
»Es ist überall das gleiche!«
»Und deshalb mußten wir flüchten.«
»Und was wollen Sie damit erreichen? Was wollen Sie jetzt unternehmen?«
»Nichts!« Dr. Budde starrte an die weißgetünchte, aus Lehm geknetete Decke. »Für uns arbeitet die Zeit! Jeder Tag, den Gisela in Freiheit verbringt, ist eine Zerreißprobe für die Nerven ihrer Familie. Die Angst wird wachsen und wachsen, und einmal wird sie so groß sein, daß die Mauer, die die Peltzners um sich gezogen haben, zerbröckelt! Darauf warten wir … und wenn es viele Monate dauert.«
»Das werden Sie auch müssen.« Dr. Ben Mullah kontrollierte den Gipspanzer, in dem Dr. Budde lag. »Vor acht Wochen dürfen Sie sowieso nicht aufstehen!«
»Ist's so schlimm?«
»So gut, müssen Sie sagen!«
»Und es wird nichts zurückbleiben?« fragte Gisela leise. Dr. Ben Mullah hob die breiten Schultern. Sein braunes Arabergesicht war ernst.
»Nur Allah weiß es! Was wir Menschen tun können, tun wir, Mademoiselle.«
Als der Arzt wieder gegangen war, saß Gisela am Fenster und sah hinaus auf die Wüste und das Wadi, die Lebensader der Oase, das Flußbett, das im Winter voll schmutzigen Wassers schäumte und im Sommer ausgetrocknet, steinig und zerklüftet als Karawanenstraße durch die Oase diente. Schnell fiel die Nacht herein. Wie bizarre Scherenschnitte standen die Palmen und Tamarisken gegen den fahlen Himmel. Auf den flachen Dächern der Lehmhäuser der Araber wurde es lebendig. Nach dem heißen Tag fand sich hier die Familie ein, um die kühle Abendluft zu genießen. Es war der einzige Ort, wo sich die Frau unverschleiert bewegen durfte.
»Ich bin schuld, wenn dir etwas zurückbleibt …« Giselas Stimme stockte. Sie legte den Kopf auf die Fensterbank und schloß die Augen.
»Du darfst nicht solch dumme Gedanken haben.« Budde drehte den Kopf zur Seite. Sofort war der Schmerz da. Er flimmerte durch die ganze Wirbelsäule. »In ein paar Wochen spielen wir draußen auf dem Offiziersplatz Tennis. Du wirst dich wundern, wie ich Tennis spielen kann!« log er.
»Und wenn nicht …«
»Himmel, wer denkt denn so pessimistisch!«
»Du müßtest in ein großes Spezialkrankenhaus, Klaus.«
»Und von dort mit dir ausgeliefert werden, was? Nein, wir bleiben hier in unserer Oase!«
»Ich habe solche Angst, Klaus …« Ihre Stimme war kläglich.
Ein tunesischer Krankenpfleger kam herein und brachte ein Glas mit Zitronensaft. Gleichzeitig drehte er die elektrische Deckenbeleuchtung an. Dr. Budde schloß vor der plötzlichen Helle die Augen. »Die Hand Allahs ist mächtig …«, sagte er, und es sollte wie ein Scherz klingen.
Gisela drückte beide Hände gegen die Ohren. Ihre schmales Gesicht war weiß und verzerrt.
»Ich kann das nicht mehr hören. Du brauchst einen Facharzt. Ich werde Tunis anrufen. Ich werde deinen Freund Paul Burkhs bitten …«
»Ich springe aus dem Gips!« sagte Budde laut. »Gisela, ich werde doch wieder gesund. Wir dürfen keine Panik aufkommen lassen! Wir müssen ganz ruhig sein und abwarten, was drüben in Deutschland geschieht. Und daß etwas geschieht, dafür wird Gerd schon sorgen!«
Gisela verkrampfte die Hände ineinander. Dann ging sie hinüber zu Budde, legte den Kopf an seinen Hals.
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