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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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noch die wirksamste Methode bei der Behandlung schwerer Geistesstörungen.
    Trotz der geringen Ansprechbarkeit von Frau Paulis auf Schocks und medikamentöse Dauerschlafkuren schreckte v. Maggfeldt vor dem letzten Mittel zurück, das er im geheimen als allein indiziert ansah: die Leukotomie.
    Die operative Durchtrennung von Hirnbahnen, vor allem die Durchschneidung der frontothalamischen Bahnen, brachte unter Umständen eine grundlegende Persönlichkeitsveränderung mit sich. Frau Paulis würde nie mehr an ihren Ludwig denken und irgendwelche Gegenstände wie einen Säugling mit sich herumschleppen. Sie würde dumpf durchs Leben schleichen … eine hohle Schale Mensch, ein seelenloser Automat.
    Vor dieser letzten Konsequenz schreckte Professor v. Maggfeldt zurück. In seinen 25 Jahren als Psychiater hatte er bisher 124 Lobotomien machen lassen, 36 Patienten waren gestorben, bei 14 hatte sich der Zustand verschlechtert … die anderen lebten weiter, waren zum Teil in den sozialen Prozeß wieder eingegliedert. Sie lebten ruhig … aber sie lebten nur … Sie waren wie ein stumpfes Messer.
    Frau Paulis betrat das schloßähnliche Gebäude, in dem die OPs lagen, an der Seite einer Pflegerin. Sie hatte die Haare gekämmt und aufgesteckt, ihr spitzes, vergrämtes Gesicht war bleich, aber nicht ängstlich. Der schreckliche, verzerrte Ausdruck war verschwunden. Sie war eine alte Frau wie tausend andere. Nur tief, ganz tief in ihrer Seele saß der ungeheuerliche Schmerz, der ab und zu nach oben brach wie Lava aus einem Vulkan. Der unheilbare, unfaßbare Schmerz: Sie haben mir meinen Ludwig genommen … Mit Pulver haben sie ihn in die Luft gesprengt …
    »Ich habe eine Frau verletzt?« fragte sie, als sie durch den Vorbau gingen. »Ist es schlimm?«
    »Nur eine Prellung«, sagte die Pflegerin beruhigend.
    »Kann ich sie sehen?« Frau Paulis blieb im Treppenhaus stehen. Die Pflegerin schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube nicht, daß der Herr Professor das will.«
    »Ich möchte mich nur entschuldigen …«
    Der Oberarzt Dr. Pade kam den Gang von den OPs entlang. Er winkte Frau Paulis freundlich zu.
    »Da sind wir ja. Guten Morgen! Wie fühlen Sie sich?«
    »Müde. So schrecklich müde.« Frau Paulis lächelte. Es war furchtbar, dieses Lächeln in einem zerstörten Gesicht. »Und ich habe auch gar keine Angst …«
    »Angst? Aber wovor denn!« Dr. Pade winkte mit den Augen. Die Pflegerin ging voraus zu dem Behandlungsraum. Dr. Pade hakte Frau Paulis unter. »Nach jeder Elektrobehandlung ist es doch besser geworden. Wir wollen Sie ja ganz gesund machen …«
    Frau Paulis sah zu dem großen, liebevollen Arzt mit ihren unheimlich leeren Augen auf. Es gehörten Nerven dazu, diesem Blick standzuhalten. Dr. Pade hatte diese Nerven. Er lächelte zurück.
    »Ich weiß es, Herr Doktor. Aber was war denn gestern?«
    »Ein kleiner Rückfall. Sie haben gesungen, und dann haben Sie Ball gespielt. Aus Zufall packten Sie einen Stein und warfen ihn … das ist alles.«
    »Und ich habe damit eine Frau getroffen, nicht wahr?«
    Wer hat ihr denn das wieder gesagt, dachte Dr. Pade wütend. Da schult man seine Pfleger, und sie quatschen wie die Waschweiber.
    »Nur gestreift. Halb so schlimm. Machen Sie sich darüber gar keine Gedanken. Es ist alles in Ordnung«, sagte er schnell, bevor Frau Paulis weiterfragen konnte.
    »Ich möchte mich bei ihr entschuldigen.«
    »Aber Frau Paulis …«
    »Jaja, ich weiß, was sich gehört. Oder ist sie so … so krank, daß ich sie nicht sehen darf?« Frau Paulis sagte krank, statt irr … es war ihr in den normalen Passagen ihres Geistes schrecklich genug, unter Schizophrenen und Manisch-Depressiven, Paralytikern und Epileptikern leben zu müssen.
    »Aber nein.« Ein Gedanke schoß Dr. Pade durch den Kopf. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, sie zu Gisela Peltzner zu führen. Frau Paulis hilft es sicherlich, und der Schreckschock Fräulein Peltzners würde abklingen. »Ich habe es mir überlegt … gehen wir zu ihr …«
    Während Dr. Ebert, der Stationsarzt von Pavillon 3, ungeduldig auf die Patientin für den Elektroschock wartete, standen sich in Giselas Zimmer Frau Paulis und Gisela gegenüber.
    »Ich habe Sie gestern verletzt«, sagte Frau Paulis und hob bedauernd beide Hände. »Ich wollte es nicht … ich konnte nichts dafür … Ich bitte Sie um Verzeihung …«
    »Es … es ist ja gar nichts geschehen«, stotterte Gisela mit weit aufgerissenen Augen.
    »Das freut mich. Kommen Sie mich doch einmal

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