Entmündigt
wird bei uns gepflegt, steigert sich wieder in den Wahn, daß wir – die gesamte Familie – sie geschlossen betrügen, nimmt ein Pflanzenschutzmittel oder sonst was und bringt uns um! Sind Sie, Herr Professor, dann bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, indem Sie sagen: Ich habe mich geirrt, sie war doch nicht so harmlos, wie ich dachte! Die Schuld liegt an meiner Fehldiagnose …?«
»Ich bitte Sie, Herr Peltzner …«
»Da gibt es nichts zu bitten!« Peltzners Stimme wurde hart. »Mir geht es um die Sicherheit meiner Familie …«
»Dann mieten Sie Ihre Nichte irgendwo anders ein, in der Schweiz, in Italien, auf Mallorca, es gibt so viele schöne Plätze.«
»Sie lebt doch in dem Wahn, sich an uns rächen zu müssen, und deshalb wird sie um die halbe Erde rasen, um uns zu treffen!«
»Sie haben Angst, Herr Peltzner?«
»Ja! Ich glaube, ich habe das deutlich genug gesagt.«
Ewald Peltzner war gerissen genug, diesen ihm unabsichtlich zugespielten Ball anzunehmen. Angst ist immer etwas, wofür die Leute Verständnis haben …
»Wir können keinen Patienten nur auf einen Verdacht hin einsperren!« sagte Maggfeldt. »Nicht hier! Wir sind eine Heilanstalt, aber keine Pension für leichte Fälle. Im übrigen zweifle ich daran, ob Ihre Nichte …«
Ewald Peltzner erhob sich. Er griff in die Rocktasche, holte ein Scheckbuch heraus und legte es auf den Tisch. Er wußte genau, daß alles verloren war, wenn er jetzt eine einzige Geste machte, die den Professor nachdenklich stimmen mußte.
»Ich habe Angst«, sagte Peltzner. Er hielt diese menschliche Schwäche jetzt wie einen Schild vor sich und versteckte dahinter seine wirklichen Gedanken und Gefühle. »Ich sehe ein, daß Gisela in Ihren normalen Pavillons nicht bleiben kann. Sie brauchen Raum, Sie haben zu wenig Betten, zu wenig Personal. Es ist wie überall … das Wirtschaftswunder ist an der Kultur und der Krankenpflege fast spurlos vorbeigegangen. Ich will Ihnen helfen … um Platz für Gisela zu schaffen und meine Angst zu beruhigen. Mir liegt sehr viel daran, daß gerade Sie, Herr Professor, die Behandlung und Beobachtung meiner Nichte weiter übernehmen. Darf ich Ihnen für Erweiterungsbauten einen Beitrag von 150.000 Mark überreichen?«
Er beugte sich über sein Scheckheft, füllte schnell die Zahl aus und riß das Scheckblatt heraus. Der wohlüberlegte Auftritt wirkte spontan und überzeugend. Mit ausgestrecktem Arm hielt er Maggfeldt das Vermögen entgegen. Die Hälfte muß Anna bezahlen, dachte er dabei. Schließlich rette ich damit auch ihren Anteil.
»Ich kann das nicht annehmen«, sagte Maggfeldt stockend. »Ich will Ihre Notlage nicht ausnutzen …«
»Es ist eine Stiftung der Peltzner-Werke, Herr Professor! Andere Unternehmer haben auch schon Kliniken finanziert. Das schreckliche Schicksal meiner Nichte hat mich wochenlang verfolgt. Bauen Sie mit dem Geld einen neuen Pavillon, geben Sie den Armen das Gefühl der Geborgenheit … auch meiner Nichte. Bauen Sie ihr eine Wohnung damit, in der sie leben kann unter Ihrer Fürsorge. Ich wüßte nicht, wem ich sie sonst anvertrauen sollte …«
»Geld anzunehmen ist nicht so einfach, Herr Peltzner. Ich muß mit meinen Ärzten noch einmal die medizinische und rechtliche Lage Ihrer Nichte durchsprechen.«
Ewald Peltzner zog den ausgestreckten Arm zurück und legte den Scheck auf den Schreibtisch Maggfeldts.
»Wollen Sie übrigens Ihre Nichte sprechen?« fragte der Professor.
»Sprechen? Nein!« Peltzner knöpfte seinen Rock zu. »Sie müssen verstehen, daß ich mich dem noch nicht gewachsen fühle. Später einmal … Aber wenn ich sie sehen könnte?«
»Natürlich können Sie das.« Maggfeldt wandte sich einem Plan an der Wand neben seinem Schreibtisch zu. Es war der Therapieplan der einzelnen Stationen, bei denen eine Behandlung noch Erfolg versprach. »Ja, doch, es geht sogar sehr gut. Sie sind gerade beim Fernsehen.«
»Sie haben Fernsehen für die Kranken?« fragte Peltzner verblüfft.
»Gemeinschaftsfernsehen, in einem großen Saal. Kino, Theater, Musikvorträge … Sie glauben nicht, wie brav und aufnahmefähig die Kranken bei den meisten Darbietungen sind. Vor allem die Musik macht sie fast zahm … sie ist zu einem anerkannten Heilfaktor in der Psychiatrie geworden.« Professor v. Maggfeldt knöpfte seinen Kittel zu. »Wollen wir uns das einmal ansehen? Ihre Nichte ist auch im Saal.«
»Kann sie mich sehen?«
»Nein. Wir werden von einer Seitentür aus den Saal überblicken
Weitere Kostenlose Bücher