Entmündigt
wiederholte er ungläubig.
»Ja, Herr Professor. Er wartet draußen.«
»Ich … lasse bitten …«
Die Sekretärin verschwand, und gleich darauf erschien schon Ewald Peltzner in der Tür.
»Ich bin erfreut, mit Ihnen einmal alles durchsprechen zu können«, sagte der Professor, als Ewald Peltzner in einem der Sessel vor Maggfeldts Tisch Platz genommen hatte. Peltzner faltete die Hände über dem Bauch. Er sah den Professor mehr lauernd als abwartend an.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er.
Maggfeldt schüttelte den schmalen, weißhaarigen Gelehrtenkopf. »Ganz im Gegenteil.« Maggfeldt registrierte keinerlei Regung in Peltzners schwammigem Gesicht. Auch nicht, als er weitersprach: »Ihrer Nichte geht es gut. Nach anfänglicher Auflehnung ist sie in ein Stadium der Depression gefallen. Seit Wochen untersuchen wir sie mit aller Gründlichkeit und nach einem Plan, der wohl alle Fehlerquellen ausschließt. Und bis jetzt ist das Ergebnis sehr erfreulich: Ihre Nichte befindet sich zwar in einer seelischen Verkrampfung, aber was die beiden einweisenden Kollegen diagnostizierten …«
Ewald Peltzner war es, als lege sich ein Eisenring um sein Herz.
»Sie meinen also, Gisela sei völlig normal …?« fragte er stockend.
Professor v. Maggfeldt wiegte den Kopf. Er war vorsichtig in seinen Äußerungen.
»Unsere Untersuchungen gehen auch nach der Erstellung des Obergutachtens weiter, solange wir nicht ein klares und eindeutiges Bild von der Patientin haben, Herr Peltzner. Ich bin ehrlich genug, zu gestehen, daß unsere Ärzteschaft in zwei Lager gespalten ist: Oberarzt Dr. Pade hält Ihre Nichte für gesund, andere Kollegen sehen jeweils verschiedene Krankheits-Syndrome, die einen eine atypisch und schleichend verlaufende paranoide Psychose, die anderen neuerdings eine durch die Persönlichkeit Ihrer Nichte verschleierte Zwangsneurose. Das eine wie das andere rechtfertigt die Entmündigung. Aber das Charakteristische an der Zwangsneurose sind nicht nur die Zwangsvorstellungen, sondern es ist in erster Linie die Angst, dies oder jenes tun zu müssen. Dabei führen diese Kranken aber niemals aus, was ihnen der Zwang vorschreibt – eher schon treibt sie die Angst vor dem Zwang in seltenen Fällen zum Selbstmord. Von Gemeingefährlichkeit kann aber bei einer solchen Krankheit gar nicht die Rede sein. Ich sehe also bis jetzt keinen zwingenden Grund, Ihre Nichte auf die Dauer hier festzuhalten. Soweit heute schon überhaupt etwas vermutet werden kann, ist sie ein leichter Fall, der sofort in häusliche Pflege entlassen werden müßte, wenn man uns nicht der Freiheitsberaubung bezichtigen will.«
Ewald Peltzners Gedanken arbeiteten präzise und schnell.
Gisela nach Hause, das war ausgeschlossen! Außerhalb dieser Mauern, in der Freiheit, hatte sie alle Möglichkeiten, den ungeheuerlichen Betrug aufzudecken, der an ihr begangen worden war. Für ihn, Ewald Peltzner, würde das wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ruin bedeuten, Anklage, Strafe, vielleicht Gefängnis …
»Man weiß also nie, wie sich so ein armer Mensch entwickelt, nicht wahr?« sagte er mit seltsam ruhiger, kühler Stimme, die den seelenlosen Klang eines primitiven Musikinstrumentes hatte. »Es ist so oft vorgekommen, daß Geisteskranke als harmlos aus den Anstalten entlassen wurden und dann kurz darauf Kinder oder Verwandte oder sich selbst umgebracht haben. Man liest es ja immer wieder in den Zeitungen. Und wissen Sie, Herr Professor – ohne Ihrem endgültigen Urteil vorgreifen zu wollen –, ich bin der Meinung, lieber ein Jahr länger in der Anstalt als eine Minute zu früh entlassen.«
Ewald Peltzner richtete sich auf und sah Professor Maggfeldt voll ins Gesicht. »Können Sie garantieren, daß Gisela harmlos ist, völlig harmlos? Daß sie nicht eines Tages doch gewalttätig wird, mich oder meine Schwester oder sonst wen angreift und umbringen will?«
»Garantieren?« Maggfeldt sah auf seine Schriftstücke, die den Schreibtisch dicht bedeckten. Er dachte an den Haßwahn, in den Gisela Peltzner sich gegen ihren Onkel hineingesteigert hatte, an die Reden von Mord an ihrem Vater, von Erbschleicherei und Verbrechen gegen sie.
»Ein Mensch ist kein Industrieprodukt, für das man eine Werkgarantie übernehmen kann!« sagte er laut.
Ewald Peltzner nickte traurig. »Sehen Sie!« sagte er. »Indirekt teilen Sie meine Befürchtungen. Trotzdem wollen Sie meine Nichte entlassen, weil sie nicht gefährlich ist. Sie kommt nach Hause, wohnt bei uns,
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