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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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Außenstehender, stimmte meine Adoptivmutter ihr übliches Loblied auf mich an. Unterdessen fragte ich mich die ganze Zeit, warum mir das Gesicht dieser Mitarbeiterin der Jugendhilfestelle so bekannt vorkam. Sie begrüßte mich mit der eher aufgesetzten Herzlichkeit einer entfernten Tante bei einem Familienfest. Am liebsten wäre ich weggerannt, wie immer, wenn mein Gefühlshaushalt außer Kontrolle zu geraten drohte. Meiner Erziehung gehorchend, bekam ich mich jedoch wieder in den Griff und blieb stumm.
    Erst nachdem wir gegangen waren, machte es schlagartig klick in meinem Kopf, und ich sah diese Dame, achtzehn Jahre jünger, wieder vor mir, als wäre es gestern gewesen. Richtig: Damals, am 7 . Februar 1972 , hatte sie zusammen mit dem Verhaftungskommando vor der Haustür unserer Stadtwohnung gestanden und später meinen Bruder und mich zu unserer Oma begleitet, nachdem meine Mama aus unserem Leben verschwunden war. Was mochte nur aus Mirko und Oma geworden sein? Ich hatte sie beinahe vergessen. Aber sie hatten auch von sich aus nie wieder den Kontakt zu mir gesucht.
    Wie auf einer Zeitreise tauchten lauter Bilder aus meiner Kindheit auf. Das Gesicht der Frau weckte verschüttete Erinnerungen. Damals war die Dame von der Jugendhilfe die freundlichste der Amtspersonen gewesen. Unberührt von allen Veränderungen, versah sie nun wie eh und je ihren Dienst an der Jugend, der lange Zeit eher ein Dienst am Staat gewesen war.
    Auf dem Rückweg nach Hause drückte Mutti mir einen kleinen Zettel in die Hand, auf den sie eine Notiz gekritzelt hatte: die Adresse meiner verschollenen Mutter. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte mich: Mama lebt.
    Leider blieb diese handschriftliche Notiz dann eine ganze Weile in meiner Schublade liegen. Die Geburtswehen setzten so vorzeitig ein, dass die Zeit nicht mehr ausreichte, meine Mama zur Blutprobe zu bitten, um die Erbanlagen abzugleichen.
    Mein Sohn Benjamin kam am Abend des 11 . Juli 1990 , noch früher als seine große Schwester, aber ebenfalls gesund, zur Welt. Die ersten Tage musste das winzige Kerlchen in der Frühgeborenenabteilung im Brutkasten zubringen – so streng isoliert, dass ich ihn nur auf verwackelten Polaroidfotos sehen durfte. Auf schmerzhafte Weise fühlte ich mich von meinem Baby getrennt. Ich lag auf der Wöchnerinnenstation und bekam, statt mein Kind, Depressionen.
    Anders als mir, die ich noch die Folgen der Geburt auszuheilen hatte, wurde Olaf der Zugang zu unserem Baby nicht verwehrt. Als stolzer Vater zeigte er sich wiederum von seiner sanftmütigen und durchaus aufmerksamen Seite.
    Leider vermochte auch die gemeinsame Geburtserfahrung unsere Ehe nicht mehr aufzufrischen. Heftiger denn je peinigte mich mein Mann in den folgenden Wochen und Monaten beim geringsten Verdacht mit seiner Eifersucht. Zu allem Übel gab ich ihm tatsächlich eines Tages einen realen Anlass dafür. Zum ersten Mal in unserem fünfjährigen Zusammensein ging ich fremd. Ich war so mürbe durch die fortwährenden Vorwürfe, dass ich mir einredete, diese seien weniger verletzend, wenn er einen tatsächlichen Grund dazu hätte. Natürlich erwies sich das als Fehleinschätzung. Zurück blieben bei mir nur ein schales Gefühl und die bittere Erkenntnis, dass Olafs Eifersucht nun auch noch begründet war.
    Ein wütender, frustrierter Ehemann, zwei Kinder, die all meine Energie aufzehrten, zwei Mütter, zu denen mir in dieser Phase auf unterschiedliche Art der Kontakt fehlte: Irgendwie schien in meinem Leben alles schiefzugehen. Ich fühlte mich bis an die Schmerzgrenze belastet und sah mich außerstande, auch noch die Frage meiner Herkunft, die neuen Schmerz befürchten ließ, zu klären. Geradezu panisch, so erscheint es mir im Rückblick, befürchtete ich, dass meine Kindheits- und Jugendjahre in der DDR ein einziges Trugbild gewesen sein könnten. Aus all diesen Gründen lag der Kontakt zu meiner leiblichen Mutter erst mal weiter brach.
    »Liebe Mama«, hatte ich schon lange auf einen Briefbogen geschrieben, dann aber den Stift wieder aus der Hand gelegt. Der zuwendungsbedürftige Benni bot mir immer wieder eine willkommene Ausflucht. Am Dienstag nach dem Osterfest 1991 , an dem mir meine tiefe Einsamkeit, trotz der Kinder, wieder mal besonders deutlich bewusst wurde, hatte ich den Brief endlich fertig. In wenigen Worten hatte ich meiner Mama meine Familie vorgestellt und vorsichtig angefragt, ob sie Interesse an einem Wiedersehen habe.
    Bereits zwei Tage später lag ihre Antwort in

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