Entscheide dich, sagt die Liebe
Knarren begrüßte, als wäre er seit letzter Nacht um die Hälfte schwerer geworden.
Er fiel in eine tiefe Starre, und am nächsten Morgen hätte er nicht sagen können, ob er geschlafen oder im Wachzustand geträumt hatte. Auf alle Fälle hatte sein Traum dunkelgrüne Augen gehabt wie die Lagune bei Nacht, und er hatte nach Fichtenhonig gerochen.
D as Konzert verlief ganz nach Plan. Clara spielte Papillons von Robert Schumann, ein Werk, in dem es um einen Maskenball ging und das wunderbar in einen venezianischen Palazzo passte. Danach trug sie kleinere Stücke von Chopin, Liszt und Mendelssohn vor. Der fabrikneue Fazioli klang fantastisch, die Akustik in dem mit Gobelins und Tapisserien bestückten Festsaal der Ca’ Minotti war besser als erwartet, sie hatte ihr Lampenfieber unter Kontrolle und ließ sich von der Musik tragen. Erfreut stellte sie fest, dass das Publikum ihr tatsächlich zuhörte. Niemand klirrte mit Gläsern, räusperte sich oder tuschelte, nicht einmal die aalglatte Contessa, die als Einzige völlig desinteressiert wirkte, obwohl das Konzert ihr zu Ehren stattfand.
Nach dem Spiel fuhr Clara ihren Schutzpanzer aus Stacheln hoch und igelte sich ein, wie sie es sich vorgenommen hatte. Auf Fragen antwortete sie höflich, aber knapp. Beim Galadiner saß sie neben Paolo, ließ seinen Redeschwall und das Hollywoodstars-ihr-sollt-vor-Neid-erblassen-Lächeln an sich abprallen und hing ihren Gedanken nach.
Als sie dieses Lächeln zum ersten Mal gesehen hatte, war es ihr dreist erschienen. Unverschämt. Damals, nach ihrem Konzert in der Fenice, als Paolo unbedingt mit ihr sprechen, sie aufhalten wollte, obwohl sie vor Sorge um ihren Vater fast umkam. Ihre Eile bemerkte er nicht oder wollte sie nicht bemerken. Wie wütend sie auf ihn gewesen war, als sie den Zug verpasst hatte! Dabei war ihr Vater zu diesem Zeitpunkt längst tot gewesen, und sie wäre auf alle Fälle zu spät gekommen. Trotzdem war diese Wut wieder aufgeflackert, als Paolo sie nachmittags am Aeroporto di Venezia Tessera abgeholt hatte. Denn sie musste erkennen, dass der Conte Minotti, der sie zum Konzert in seinen Palazzo geladen hatte, mit dem aufdringlichen Kerl aus dem Teatro La Fenice identisch war. Sie ärgerte sich maßlos über sein rotblondes Haar, das ihm so nachlässig ins Gesicht fiel, über das verwegene Lächeln, das ihn unverschämt gut aussehen ließ, und, vor allem, über sich selbst. Sie hätte es besser wissen müssen! Hätte, der smaragdgrünen Tinte und der poetischen Ausdrucksweise zum Trotz, ahnen müssen, wer hinter der Konzerteinladung steckte. Ein Conte war dieser Schnösel also, der verwöhnte Spross eines venezianischen Grafen, und dazu unerhört reich. Sie hätte die Einladung ausschlagen müssen, finanzielle Notlage hin oder her. Ein Konzert mit klassischer Musik passte nicht zu einer Geburtstagsparty. Paps hätte ihren Auftritt bestimmt nicht gutgeheißen.
Andererseits hatte Paps ihr die ganze Misere erst eingebrockt. Mit der Tatsache, dass er nicht einmal für sein Begräbnis vorgesorgt hatte, und natürlich in erster Linie mit seinem Tod.
Hätte er mich nicht früher in die Welt setzen können, mit dreißig oder vierzig, wie die meisten anderen Väter auch? Musste er damit bis zum Pensionsalter warten?, dachte Clara bitter, während der rotblonde Macho sie im Motorboot zu seinem Palazzo fuhr. Immer öfter ertappte sie sich dabei, wütend auf ihren Vater zu sein. Es half nichts, sich bei jeder ihrer Handlungen zu fragen, ob er einverstanden gewesen wäre oder nicht. Er hatte sie im Stich gelassen. Jetzt musste sie sehen, wo sie blieb. Und ob dieser Auftritt Paps nun passte oder nicht, es war ohnehin zu spät, ihre Konzertzusage rückgängig zu machen. Eine seriöse Pianistin sagte ein Konzert nicht im letzten Moment ab, nur weil ihr das Gehabe des Veranstalters oder das Ambiente nicht passte.
Also schluckte sie ihren Ärger hinunter, dachte an die lukrative Gage und rollte sich innerlich zu einer stacheligen Kugel ein wie ein Igel bei Gefahr. Dem schönen Grafen präsentierte sie die Spitzen ihrer Stacheln, blieb distanziert und kühl. Im Kopf ging sie durch, wie sie das Spektakel möglichst glimpflich über sich ergehen lassen würde. Natürlich würde sie zur Zufriedenheit aller spielen, schließlich war sie ein Profi. Sie würde die Diva mimen, das Abendessen durchstehen, dann Kopfschmerzen vortäuschen und sich zurückziehen. Und am nächsten Morgen schleunigst abreisen.
Paolo kompensierte ihre
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