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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siri Goldberg
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abweisende Haltung mit penetrant guter Laune. Dass Clara nicht mit ihm sprach, glich er mit umso größerer Eloquenz aus; anders ausgedrückt, sein Mundwerk stand nicht still. Und Claras eingefrorener Mimik zum Trotz strahlte er sie an, als handelte es sich um eine neue Sportart: hypnotisches Dauerlächeln, um Stachelpanzer zu knacken und die Eisklötze darunter zum Schmelzen zu bringen.
    Doch er sollte sich die Zähne an ihr ausbeißen, hatte sie sich auf der Fahrt zur Ca’ Minotti vorgenommen.
    So weit, so gut. Als das Festessen beendet war, wollte sie die Kopfschmerznummer auftischen. Aber bevor sie die zurechtgelegten Sätze vorbringen konnte, nahm Paolo ihre Hand und führte sie in den Garten mit dem merkwürdigen Brunnen, der sie gegen ihren Willen zum Lachen brachte. Kurz darauf tanzte er mit ihr durch den Salon. Und ausgerechnet beim Tanzen bekam ihr Stachelpanzer Sprünge.
    Paolos Freund mit den Kaffeeaugen und dem farblich dazu passenden Haar war nicht ganz unschuldig daran. Er tanzte besser als Paolo, besaß offenbar einen siebten Sinn für Rhythmus, und er sprach perfekt Deutsch. Clara schwebte mit ihm über den Parkettboden. Sie musste sich eingestehen, dass es ihr Spaß machte. Eine eigenartige Erfahrung. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie tanzen konnte, hatte nie einen Tanzkurs besucht, war nie in einer Disco gewesen. Merkwürdigerweise verschwand der geheimnisvolle Daniele ohne Vorwarnung, von einem Moment auf den anderen, gerade als sie begonnen hatte, ihn ausgesprochen sympathisch zu finden.
    Clara tanzte mit Paolo weiter. Und obwohl der viel mehr hopste als dahinglitt und in seinem venezianischen Dialekt so schnell auf sie einsprach, dass sie sich anstrengen musste, alles zu verstehen, fand sie das überhaupt nicht mehr schlimm. Ihre Stacheln waren verschwunden. Sie brauchte den Panzer nicht mehr, weil sie sich wohlfühlte. Sie musste sich eingestehen, dass ihr der Ausflug in eine fremde Welt guttat. Und es tat gut, von Paolo angehimmelt zu werden. Es schmeichelte ihr, dass seine hübschen blauen Augen ausschließlich auf sie gerichtet waren. Sogar die eifersüchtigen Blicke des ein oder anderen weiblichen Partygasts genoss sie. Sie begann, in Paolo nicht mehr den verwöhnten Grafensohn zu sehen, sondern einfach einen jungen Mann, der ausgesprochen attraktiv war und auf Teufel komm raus mit ihr flirtete. Sein Lächeln kam ihr nicht mehr dreist vor, sondern lebenslustig. Und das Verwunderlichste war, dass es auf einmal ein Prickeln in ihr auslöste. Ein Vibrieren, das im Magen begann und sich bis in die Finger- und Zehenspitzen ausbreitete. Oder war das die Wirkung des Champagners? Wie auch immer. Zum ersten Mal seit Vaters Tod konnte sie wieder herzlich lachen. Und zum ersten Mal seit noch viel längerer Zeit spürte sie, wie jung und hungrig sie war. Hungrig nach dem Leben, das außerhalb der achtundachtzig Tasten einer Klaviatur existierte. Sie hatte so viel versäumt! Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich nach Ferien sehnte, nach einer Auszeit von der täglichen Überei und den Wettbewerbsvorbereitungen. Natürlich war das utopisch, aber wenigstens diesen Abend wollte sie genießen, ihre Trauer und ihre Sorgen für ein paar Stunden vergessen. Sie lachte, trank Champagner und verpasste keinen einzigen Tanz.
    Um drei Uhr früh verließen die letzten Gäste das Fest. Die Contessa schlief längst und das Personal wuselte noch in der Küche herum. Paolo begleitete Clara zum Gästezimmer, in dem bereits ihre Reisetasche auf sie wartete. Er wünschte ihr eine gute Nacht und verabschiedete sich mit einem Kuss.
    Für einen Augenblick kam Panik in ihr auf. Sie erinnerte sich an Ioannis, den Knoblauchatem, das Zungendesaster. Einen Herzschlag später staunte sie, dass sich dieser Kuss so anders anfühlte. Paolos Lippen waren voll und weich, sie pressten sich nicht auf ihre, sondern berührten sie sanft und verharrten. Keine bohrende Zunge, die bis zum Rachen vorstoßen wollte. Kein übelkeiterregender Mundgeruch. Zu ihrer eigenen Verwunderung spürte Clara, dass etwas in ihr erwachte. Eine Stimme, die nicht in ihrem Kopf saß, sondern im Bauch. Sie klang wie das Keckern eines Frettchens und forderte mehr. Clara erschrak über das Betragen dieses pelzigen Insassen und zuckte zurück.
    Sofort löste Paolo seine Lippen von ihren. Ohne sie weiter zu bedrängen, zog er sich zurück – ganz Gentleman –, und sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Todmüde, aber

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