Entscheide dich, sagt die Liebe
glücklich fiel sie in das luxuriöse Gästebett und schlief tief und traumlos wie lange nicht mehr.
Als Paolo ihr am nächsten Morgen beim Frühstück einen Vorschlag unterbreitete, war sie zunächst sprachlos. Er lud sie ein, eine ganze Woche in der Ca’ Minotti zu verbringen. Er wollte ihr Venedig zeigen und sie die Trauer um ihren Vater vergessen lassen. Sie sollte sich erholen, ein paar unbeschwerte Tage erleben und einfach nur Spaß haben. Es war der Urlaub, nach dem sie sich gesehnt hatte.
Clara antwortete spontan. »Molto volentieri«, sagte sie. Sehr gern. Und sie sollte es keine Sekunde bereuen.
Die folgenden Tage vergingen wie im Flug. Paolo verwöhnte sie nach Strich und Faden, er präsentierte ihr die venezianischen Sehenswürdigkeiten zu Zeiten, in denen die Touristenschwärme noch schliefen, er führte sie in feine Restaurants, in eine Nobeldisco und ins Spielcasino. Er nahm sie zu einem Segeltörn mit und zeigte ihr die interessantesten Inseln der Lagune.
Am letzten gemeinsamen Abend bot er ihr eine Stadtrundfahrt der besonderen Art: Er betätigte sich als Gondoliere. Die Gondel war ein Meisterstück aus der alteingesessenen Gondelwerft der Minottis, einer der letzten Werften, die es in Venedig noch gab. Sie war nicht aus Sperrholz gefertigt wie die modernen Gondeln, sondern ganz traditionell aus neun verschiedenen Hölzern.
Paolo hantierte mit dem Riemen, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Ein Sonnenstrahl fiel auf ihn, während er sich mit dem langen Ruder von der Hausmauer abstieß. Sein rötlich blondes Haar leuchtete im Gegenlicht auf. Er stand breitbeinig auf dem Heckschnabel und manövrierte die Gondel sicher durch den engen Kanal. Elegant und kraftvoll waren seine Bewegungen, mühelos hielt er das Gleichgewicht.
Clara schüttelte innerlich den Kopf, wenn sie daran dachte, wie sehr sie ihn anfangs verabscheut hatte. Auch die prunkvolle Ca’ Minotti, die mehr einem Palast glich als einem Haus, und das gräfliche Gehabe seiner Mutter hatten sie abgeschreckt. Dabei war Paolo ganz anders. Gebildet, feinsinnig, sportlich. Und was das Wichtigste war: Er hatte nichts Affektiertes an sich. Mit dem Bürgermeister von Venedig plauderte er ebenso locker wie mit einem einfachen Fischer, körperliche Arbeit war ihm nicht fremd, er krempelte die Ärmel hoch und kümmerte sich nicht darum, ob seine Armani-Hemden dabei schmutzig wurden oder nicht. Am Steuer einer Motorjacht fühlte er sich genauso zu Hause wie in einem Ruderboot, beim Segeln oder als Gondoliere. Offensichtlich war er trotz seiner jungen Jahre schon ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann. Und ebenso selbstverständlich wie er Ruder oder Riemen handhabte und die Geschicke der Minotti-Werften lenkte, verstand er es, als Gastgeber aufzutreten, kristallene Champagnerflöten zu balancieren und mit Austerngabeln zu hantieren.
Clara musste die Vorurteile ablegen und ihre Meinung gründlich revidieren.
Die schwarze Gondel glitt unter dem Rundbogen einer steinernen Brücke hindurch, die so niedrig war, dass Paolo den Kopf einziehen musste. Clara ließ sich tiefer in die Samtpolsterung ihres Sessels fallen. Die Fahrt durch das abendliche Venedig berührte sie mehr als all die touristischen Highlights, die sie bisher gesehen hatte. Sie lauschte dem Glucksen, Plätschern, Murmeln und Schmatzen des Wassers in den schmalen Seitenkanälen, sie genoss den Anblick der schiefen Häuserfronten, an denen die unermüdlichen Wasserzungen leckten, als wollten sie Sandkorn für Sandkorn und Stein für Stein der Mauern abtragen, die man ihnen aufgepfropft hatte. Sogar den modrigen Geruch mochte sie, der sich ständig veränderte. Manchmal dominierten salzig-fischige Noten, dann kam verrottetes Holz durch oder eine Ahnung von nassem Hund. Nur wenn es nach Fäkalien stank, rümpfte sie die Nase, und Paolo begann, schneller zu rudern.
Er zeigte ihr die unbekannten Schönheiten seiner Stadt. Kleine Details, die Clara übersehen hätte. Die maurisch anmutende Balustrade eines Bogenfensters, das altmodische Türschild eines Trödlers, eine Glückskatze, die wie eine Statue auf einer halb verwitterten Treppe hockte, ein versunkenes Ruderboot, das durch die Wasseroberfläche schimmerte, bunte Kleidungsstücke, an Wäscheleinen gehängt, die zwischen den Häuserfronten eines Seitenkanals gespannt waren. Auch ein einzelner Schuh war dabei. Als die letzten Strahlen der Sonne hinter den Häuserschluchten versunken waren, bog Paolo in den Canal
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