Entscheide dich, sagt die Liebe
Trauerweide und im Hintergrund ein Backsteinhaus. Dieses Gemälde hatte Clara noch nie zuvor gesehen. Als ihr Blick in die rechte untere Ecke der Leinwand fiel und sie die Signatur entzifferte, stockte ihr der Atem.
Gustav Klimt stand da. Sie schloss die Augen, rieb sie, blinzelte. Aber nein, ein Zweifel war nicht möglich. Gustav Klimt.
Halb betäubt ließ sie sich aufs Bett fallen. Wenn tatsächlich Gustav Klimt dieses Bild gemalt hatte, dann waren ihre finanziellen Sorgen Geschichte! Sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie das Gemälde bei Sotheby’s versteigert wurde, wie reiche russische Geschäftsleute, japanische Automobilhersteller und amerikanische Konzerne sich gegenseitig überboten und den Preis in schwindelerregende Höhen trieben. Und wie sie schließlich mit einem Schlag nicht nur die Begräbniskosten begleichen, sondern auch die Villa zurückkaufen konnte.
Am liebsten hätte sie jemanden angerufen. Aber wen? Dillinger kam nicht infrage, Amelies neue Telefonnummer kannte sie nicht. Und Paolo? Keine gute Idee. Bestimmt war er bereits dabei, sie zu vergessen. Sie hatte auch nichts anderes verdient, nachdem sie derart auf seinen Gefühlen herumgetrampelt war.
Sie dachte an die vergangene Nacht, ihre letzte Nacht in der Ca’ Minotti. Was für eine peinliche Geschichte! Sie spürte, wie das Blut in ihr Gesicht schoss. Garantiert war Paolo enttäuscht und wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Und das war ja auch besser so. Sie hatte eine wunderschöne Woche mit ihm verbracht, eine richtige Urlaubswoche. Es hatte ihr gutgetan. Seine Zuneigung, das Verwöhntwerden. Aber jetzt war damit Schluss. Sie durfte Paolo keine falschen Hoffnungen machen, dazu mochte sie ihn viel zu sehr. Für sie gab es jetzt unglaublich viel zu tun. Umziehen musste sie, mit dem Unterrichten beginnen, ihren Alltag bewältigen und daneben üben, üben, üben und das Programm für den Clara-Haskil-Wettbewerb einpauken. Für eine Beziehung blieb da keine Zeit.
Das sonore Ding-Dong der Türklingel riss sie aus ihren Gedanken. Das war bestimmt der Makler, der dem Interessenten das Haus zeigen wollte. Aber wieso kam er nicht herein? Er hatte doch einen Schlüssel!
Clara schlich zum Eingang. Sie drückte die Klinke hinunter und öffnete die Tür um einen Spalt.
»Ciao, bellissima!« Ein strahlendes Lächeln blendete sie. »Ich dachte, dass du vielleicht ein bisschen Hilfe gebrauchen könntest.«
»Paolo!« Der verrückte Kerl war ihr tatsächlich hinterhergeflogen! »Was …« … fällt dir ein, hatte sie sagen wollen, schluckte es aber hinunter. Sie ließ ihre Hände sinken und der halbherzige Anflug von Aufbegehren verpuffte. Nein, sie konnte nicht böse auf ihn sein. In Wahrheit empfand sie eine unglaubliche Erleichterung, das alles nicht allein durchstehen zu müssen. Hatte sie sich nicht gerade vorhin jemanden zum Reden gewünscht?
Wie ein Märchenprinz war Paolo aufgetaucht, um Clara vor dem Drachen zu retten, der Umzug hieß. Sie riss die Tür ganz auf und flog in seine Arme. Dann wurde sie hochgehoben und im Kreis geschwenkt. Er küsste sie, lang und innig.
Wenig später begutachtete er die Wertsachen und alten Möbel und versprach, seine Beziehungen spielen zu lassen. Er kenne da einen angesehenen Antiquitätenhändler, der weit höhere Preise erzielen würde als ein Auktionshaus. Zuletzt zeigte Clara ihm das Bild.
Paolo hob erstaunt die Brauen. »Ein Ölbild von Klimt? Zusammengerollt im Safe?«
Sie war enttäuscht. Alles hatte sie erwartet, dass er sie wieder herumwirbeln und laut schreien würde vor Aufregung. Oder mit ihr zusammen lachen und zugleich weinen. Aber nicht seine nachdenkliche Miene und die gerunzelte Stirn.
»Erzähle niemandem davon, solange du nicht weißt, was es mit dem Bild auf sich hat. Lass es uns Daniele und seinem Vater zeigen. Die beiden sind Restauratoren und kennen sich damit aus.«
Clara zuckte mit den Schultern. Vermutlich hatte er recht. Abwarten und Tee trinken, wie er es ausdrückte, war sicher besser, als falsche Hoffnungen in etwas zu setzen. Womöglich handelte es sich bloß um eine wertlose Kopie.
Als Paolo das ganze Haus besichtigt hatte, wollte er auch noch sehen, wo sie in Zukunft wohnen würde. Clara zögerte. Sie war nicht scharf darauf, zu hören, was der palastverwöhnte Conte Minotti zu der winzigen Wohnung sagen würde. Da er nicht lockerließ, gab sie schließlich nach und fuhr mit ihm hin.
Seine Reaktion übertraf
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