Entscheide dich, sagt die Liebe
verloren. Einen Augenblick dachte er ans Aufgeben. Aber wozu stammte er von Giacomo Girolamo Casanova ab? Sein Urahn hatte jede Frau erobert, auf die er scharf gewesen war. Ohne Ausnahme. Und Paolo würde ihm keine Schande machen. Er straffte die Schultern. Findigkeit, Hartnäckigkeit und Ausdauer waren gefragt. Er würde Clara ziehen lassen, aber nur für den Moment.
Man muss die Nuss knacken, wenn man den Kern essen will, sagte das Sprichwort. Und er würde sie knacken. Er hatte sogar schon einen Plan.
Wer hinter die Puppenbühne geht, sieht die Drähte.
Wilhelm Busch
A ls sie in den Weg einbog, der »Am Rainberg« hieß und direkt zur Prachensky-Villa führte, in der sie aufgewachsen war, in der sie gelacht und geweint und unzählige Stunden Klavier geübt hatte, wurde Clara mulmig. Vor der Einfahrt blieb sie stehen. Durch das Laubwerk der alten Platane zwinkerten ihr die blauen Jalousien zu wie eh und je. Als wäre nichts geschehen. Früher, wenn sie vom Klavierunterricht oder von der Schule nach Hause gekommen war, hatten sie zwischen den Blättern herausgelächelt, entweder fröhlich und ausgelassen oder ermutigend und tröstlich, je nach ihrer Stimmung. Dann hatte sie immer gewusst, dass sie zu Hause angekommen war. Ein unbeschreibliches Gefühl. Sie trat an die Platane heran und legte ihre Arme um den mächtigen Stamm. Ein silbern schimmerndes Rindenstück löste sich und fiel ihr vor die Füße. Sie hob es auf.
Als sie die Haustür aufsperrte und über die Schwelle trat, schlug ihr abgestandene Luft entgegen. Die Stille, die sie plötzlich umfing, schnürte ihr die Kehle zu. Zum ersten Mal fühlte sie sich ganz allein. Paps war tot und Amelie zu ihrem Sohn gezogen. Sie vermisste beide, und die unheimliche Atmosphäre in dem großen, leeren Haus ließ sie die Einsamkeit spüren wie einen handfesten Schmerz.
Tränen stiegen in ihr auf, aber sie drängte sie zurück und atmete ein paarmal tief durch. Für Trauer war jetzt keine Zeit. Es gab einen ernsthaften Kaufinteressenten, hatte der Makler gesagt. Also musste sie das Haus ausräumen. Ihre privaten Dinge zusammensuchen und mitnehmen. Dillinger hatte ihr eine Wohnung am Stadtrand von Salzburg besorgt. Eine Bruchbude, winzig und an einer verkehrsreichen Straße gelegen. Aber die Miete war günstig und sie würde dort üben können. Ihren Lebensunterhalt würde sie sich durch private Klavierstunden verdienen und indem Dillinger ihr so viele Konzertengagements wie möglich verschaffte.
Paps hatte immer darauf geachtet, dass ihre Karriere langsam aufgebaut wurde. Er hatte Dillinger eingeschärft, sie sparsam auftreten zu lassen, damit sie sich in Ruhe einen Namen machen und ein solides Repertoire erarbeiten konnte. Damit war jetzt Schluss. Dillinger würde keine Rücksicht mehr nehmen und sie verheizen. Und sie musste ihm noch dankbar sein!
Clara betrat ihr Zimmer und setzte sich an den Flügel, der während ihres einwöchigen Venedig-Urlaubs Staub angesetzt hatte. Mit dem Ärmel wischte sie über die Tastatur, dann spielte sie eine Melodie, die ihr gerade in den Sinn kam. Sie wunderte sich selbst, dass es ausgerechnet As Time Goes By aus dem Filmklassiker Casablanca war. Sie improvisierte darüber und wusste, dass ihr Flügel sich nie wieder so wunderbar anhören würde wie in ihren vertrauten vier Wänden. Für ihre zukünftige Bleibe war er eigentlich zu groß. Er würde scheußlich klingen, dumpf und viel zu laut. Missmutig brach sie ihr Spiel ab und begann einzupacken. Ihre Kleider und Schuhe passten in zwei Koffer. Die Bücher, CDs und Noten packte sie in vier Umzugskartons.
Als sie fertig war, ging sie durchs ganze Haus. Amelies Zimmer war besenrein ausgeräumt, Clara hatte es nicht anders erwartet. In den übrigen Räumen fand sie alles genau so vor, wie sie es vor einer Woche verlassen hatte. Sie markierte die wertvollen Gegenstände mit Post-its. Den alten Jugendstilsekretär zum Beispiel. Oder die Kommode aus Teakholz. Das Meissener Porzellan ebenso wie den Kristalllüster und die Skulptur des Dirigenten, die Paps bei einem bekannten Bildhauer in Auftrag gegeben hatte. Diese Objekte würde sie in einem Auktionshaus versteigern lassen. Hoffentlich brächten sie ein wenig Geld ein. Denn der Verkauf des Hauses würde voraussichtlich nur einen Teil der Begräbniskosten decken, hatte der Makler sie vorgewarnt. Sofern der Interessent den Preis nicht noch weiter herunterhandelte.
Die Gebrauchsmöbel und Dekorgegenstände wollte Clara im
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