Entscheide dich, sagt die Liebe
klang gut. Trotzdem hatte Paolo einen Kloß im Hals. »Und wenn sie Nein sagt?«
Daniele lachte. »Hey, was ist los mit dir, alter Kumpel? Bist du krank? Du, das personifizierte Selbstbewusstsein, um nicht zu sagen die personifizierte Selbstüberschätzung, zweifelst an deiner Wirkung auf eine Frau?«
Paolo knirschte mit den Zähnen. »Nicht wahr, das ist beunruhigend. Ich bin nicht mehr ich selbst. Verliebt sein ist Mist.«
»Verliebt sein ist wunderschön«, entgegnete Daniele. »Ich gebe zu, dass ich ein bisschen neidisch bin, alter Knabe. Und jetzt lass das Zweifeln und das Grübeln sein. Schließlich bist du der Urururenkel von Casanova! Oder nicht?«
Paolo musste grinsen. »Richtig, mein Freund. Danke, dass du mir die Augen geöffnet hast.«
Sie lachten beide. Daniele wünschte ihm und Clara viel Glück und beendete das Gespräch – und Paolo war unsäglich erleichtert, dass nichts mehr zwischen ihnen stand. Danieles aufmunternde Worte hatten ihm gutgetan. »Abwarten und Tee trinken« hieß die Parole. Das Gras wuchs nicht schneller, wenn man daran zog. Er würde geduldig den richtigen Moment abpassen. Dann würde er die Frage stellen, auf die es nur eine mögliche Antwort gab.
Er übte ein bisschen, wie er sie am besten formulieren sollte. »Ja«, sagte er schließlich laut zu sich selbst.
C lara staunte nicht schlecht, als sie Amelie vom Bahnhof abholte. Seit sie sich erinnern konnte, hatte ihr Kindermädchen das graue Haar mit unzähligen Haarnadeln zu einer Nackenrolle hochgesteckt. Jetzt war es raspelkurz und modisch geschnitten, was ihr hervorragend stand. Außerdem trug sie ein flottes Leinenkostüm statt der ewigen Kittelschürzen. Und sie war dezent geschminkt.
Sie fielen einander um den Hals. Dann löste Amelie sich von Clara und schob sie weg, um sie besser betrachten zu können.
»Kind, du hast ja ganz rosige Wangen. Venedig scheint dir gutzutun.« Sie lächelte. »Ich soll dir übrigens schöne Grüße von Dillinger ausrichten.«
»Danke.«
»Dein Agent macht sich Sorgen. Er meint, dieser venezianische Conte würde dir den Kopf verdrehen und dich vom Üben abhalten.«
Clara fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie wandte sich ab.
»Es stimmt also! Du bist verliebt. Ich freue mich ja so für dich!«
Stimmte es wirklich? War sie verliebt? Sie wusste es nicht genau. In erster Linie fühlte sie sich verwirrt. Ihr Kopf war verdreht – da hatte Dillinger recht – und in ihm drehten sich lauter widersprüchliche Gedanken im Kreis. »Dass Paolo mich vom Üben abhält, stimmt nicht. Im Gegenteil. Er versucht, mir alle Steine aus dem Weg zu räumen.«
»Aber ich bitte dich! Was gibt es Schöneres als junge Liebe? Genieße den Zustand und lass ihn dir von Dillinger, diesem geldgierigen Leuteschinder, nicht vermiesen.« Amelie schnaubte.
»Ich kann Richard schon verstehen«, räumte Clara ein. »Paps wäre vermutlich auch nicht begeistert, wenn er wüsste …«
»Dein Vater hätte bestimmt gewollt, dass du glücklich wirst.«
»Erfolgreich«, korrigierte Clara.
»Weil Erfolg und Glück für ihn dasselbe waren. Aber er ist tot. Und du bist erwachsen und musst selbst herausfinden, worum es dir im Leben geht. Um eine glänzende Karriere als Pianistin oder um erfüllte Liebe? Um Konzerte oder Kinder oder beides? Heutzutage ist vieles möglich.«
Clara nickte. Herausfinden, was sie wollte – das hörte sich so einfach an. Als müsste sie nur darüber schlafen und dann wüsste sie schon, wo es langging. Früher hatte sie es immer gewusst. Und jetzt?
Sie warf ihr Haar zurück und schob die zweiflerischen Gedanken weg. »Komm, ich zeige dir die Stadt.«
Mit dem Vaporetto fuhren sie bis zum Markusplatz, wo sie sich in die Schlange der wartenden Touristen einreihten, die die Basilica di San Marco besichtigen wollten. Amelie kam aus dem Schwärmen nicht heraus, als sie endlich ins Kircheninnere gelangten. Ausgiebig bewunderte sie die prächtigen Mosaiken, die so zahlreich waren, dass man vor lauter Mosaikkunst die Architektur nicht mehr wahrnahm. Dann musste Amelie unbedingt die schmale Treppe zur Loggia dei Cavalli hochsteigen, um die vergoldeten Bronzerösser zu sehen, obwohl es ohnehin nur Kopien waren. Aber von hier hatte man einen fantastischen Ausblick über die gesamte Piazza.
Nach der Basilika besichtigten sie den Dogenpalast, dessen Fassade mit ihren Spitzbögen, Säulen und Säulchen so filigran wirkte, als wäre sie aus Tortenpapier gebastelt worden. Über die
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