Entscheide dich, sagt die Liebe
Aussicht auf Liebe: seinen besten Freund. Über kurz oder lang würde Paolo vollkommen in der Welt seiner Mutter und seiner amerikanischen Braut aufgehen. Und in dieser Welt gab es keinen Platz für ihn.
A usgerechnet er musste ihr über den Weg laufen!
»Warum?«, hätte sie ihn gern gefragt, aber ihre Stimme ließ sie im Stich. Warum dieser Kuss, der sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte, ihre Träume beherrschte – auch die Tagträume – und sich wie ein Dieb immer wieder in ihre Gedanken schlich? Er hatte sich so anders angefühlt. So richtig. Ein Kuss, der nicht nur das pelzige Tier in ihrem Bauch aufgeweckt hatte, sondern vielmehr die Musik in ihrem Kopf. Das Dum-dong-dum-ping-pliii-didldidim, das M-dschib-m-dschib-widudndau und das Yoi-doi-doi-diddidaidai-momomoi. Ein Kuss, der die Knochen aufweichte, den Puls zum Rasen brachte und die Hitze aus dem Gesicht nabelabwärts trieb, bis es dort zu pochen begann. Ein nach Haselnüssen schmeckender und Augen öffnender Kuss. Plötzlich hatte sie genau gewusst, was sie tun musste: die Verlobung absagen.
Es war ihr schwergefallen, Paolo gegenüberzutreten und zuzugeben, dass sie ihn zwar sehr gern mochte, dass das aber für ein gemeinsames Leben zu wenig sei.
»Ich liebe dich nicht«, sagte sie. »Und deine und meine Welt passen nicht zusammen.«
Paolo wurde blass, schnappte nach Luft. Dann sprudelte er Erklärungen hervor, als lese er sie von einer Liste herunter. Sie solle sich keine Sorgen machen. Bestimmt sei das nur die Aufregung vor dem großen Fest. Es sei ganz normal, vor der eigenen Verlobung nervös zu sein. Außerdem sei diese Knall-auf-Fall-Liebe, bei der geflügelte Wesen Pfeile auf die Liebenden abschossen oder Ammen Liebestränke verabreichten, ohnehin nur den Märchen und Legenden vorbehalten. Es reiche vollkommen aus, einander gern zu haben, der Rest ergebe sich dann schon durch das Zusammenleben. Das Gernhaben sei nämlich das Samenkorn und durch tägliches Gießen, Jäten, Düngen und Pflegen wachse die echte Liebe daraus wie eine Rose. Außerdem liebe er, Paolo, sie bereits jetzt für zwei. Als er bemerkte, dass er sie nicht überzeugen konnte, versuchte er es mit Schmeicheln und setzte seinen ganzen Charme ein. Er lächelte, lachte, grinste, weinte, bettelte und flehte.
Es tat weh, ihm dabei zuzusehen, wie er sich erniedrigte. Clara fühlte sich schuldig. Warum hatte sie so lange gebraucht, ihre Gefühle zu erkennen? Lag es wirklich nur an ihrer Unerfahrenheit? Oder war auch Bequemlichkeit im Spiel gewesen? Hatte sie den Tatsachen nicht ins Auge gesehen, weil es so angenehm für sie gewesen war, sich auf Händen tragen zu lassen? Schuldig oder nicht, ihre Entscheidung stand fest. Es war ein kurzer, scharfer Schmerz, den sie Paolo zufügen musste, um dauerhaftes Unglück zu verhindern.
Paolo rebellierte. Zum ersten Mal seit sie ihn kannte, erhob er die Stimme. Er schimpfte und fluchte lauthals. Das könne sie ihm nicht antun, nicht einen Tag vor dem Fest. Alles sei vorbereitet, eine Absage völlig unmöglich.
Clara schnappte sich eine der Einladungskarten, die überall herumlagen. »Offiziell ist es doch nur ein Frühlingsfest. Es wird niemandem auffallen, wenn keine Verlobung stattfindet.«
Aber er war für logische Argumente nicht zugänglich. Er rastete aus, schrie und tobte. Hielt ihr vor, was er alles für sie getan habe und wie undankbar sie sei. Dann packte er den nächstbesten Gegenstand, ein Tintenfass, und schmetterte es gegen die Wand, wo es zerschellte und einen fürchterlichen Fleck auf der edlen Tapete hinterließ. Smaragdgrün.
»Es tut mir leid, dass ich dich so enttäuscht habe«, sagte sie und verließ sein Arbeitszimmer.
Er folgte ihr. »Sag mir wenigstens, warum!«, forderte er.
Sie sah, wie seine Lippen zitterten, wie mühsam er sich beherrschen musste, um nicht wieder loszuschreien.
»Es muss einen Grund für deinen plötzlichen Sinneswandel geben. Hat es mit diesem Jim Rosenblatt zu tun?«
»Indirekt«, gab sie zu. »Bei den Rosenblatts habe ich gesehen, was es heißt, wenn zwei Menschen sich wirklich lieben und ihren gemeinsamen Traum leben.«
»Habe ich dir nicht jeden deiner Träume erfüllt? Dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen?«
»Du hast mich mit Geschenken überhäuft. Aber ich meine nichts Materielles, sondern Lebensträume, Ziele, die man sich steckt, Ideale, für die man lebt, und Pläne, die man selbst verwirklicht.«
»Hast du hier etwa nicht genug Freiraum zur
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