Entscheidung der Herzen (German Edition)
Longland, füllte zuerst die groβen Zuber mit Wasser, goss Lauge hinzu und gab die groβen Wäschestücke hinein. Sie stand den ganzen Tag gebückt, schrubbte die vielen Laken, Tischdecken, Servietten, die Betttücher, Kleider, Hemden und Hosen, bis die Fingerknöchel wieder bluteten.
Manchmal, nach dem Mittagessen, stellte sie sich in den Hof, um sich ihre gepeinigten Glieder von der Sonne wärmen zu lassen. Sie reckte und streckte den Rücken, lieβ die Schultern kreisen, doch der Schmerz und die Feuchtigkeit steckten in ihren Knochen und lieβen sich nicht vertreiben.Ihr einst so seidenweiche Haar hing in zotteligen Strähnen ins Gesicht, ihre Haut war bleich, die Augen von dunklen Ringen umschattet.
Ging sie am Abend nach Hause, schlurfte sie auf dick geschwollenen Füβen beinahe wie eine alte Frau. Mit gebeugten Schultern und die Hand stützend in den schmerzenden Rücken gepresst, lief sie die Baker Street entlang in das Viertel der Handwerker. Sie kaufte unterwegs ein paar billige Lebensmittel, Brot, Schweineschmalz, Käserinden, dazu ein paar einfache Talglichter, die das kleine Zimmer mit beiβendem Rauch erfüllten.
Kam sie endlich nach Hause, so beeilte sie sich, ein kleines Abendessen auf den Tisch zu bringen, ehe Cassian von der Arbeit zurückkehrte.
War der Tisch gedeckt, bürstete sie ihr Haar, glättete ihre Kleider und kniff sich in die bleichen Wangen, um wenigstens ein bisschen schön für ihren Mann zu sein.
Doch an diesem Tag schaffte sie es kaum, einen Fuβ vor den anderen zu setzen. Ihre Augen tränten und waren rot unterlaufen von den Dämpfen der beiβenden Lauge. Ihre Arme schmerzten so, dass sie sie kaum heben konnte. Ihre Schultern fühlten sich hart wie Stein an und auβerdem hatte sie das Gefühl, ihr Rückgrat würde brechen, wenn sie es auch nur wagte, sich ganz aufzurichten.
Sie legte den Brotkanten und die Käseecke auf den Tisch und wollte gerade den Wiesenblumen frisches Wasser geben, als ihr schwindelig wurde.
Sie legte sich auf das Bett, stöhnte dabei laut auf. Nur einen Moment, dachte sie, bleibe ich liegen. Nur einen winzigen Augenblick, um mich auszuruhen. Dann stehe ich auf, bürste mein Haar, färbe die Wangen rot…
Als Cassian nach Hause kam, schlief sie noch immer. Ihr Atem ging rasselnd als wäre sie erkältet. Er setzte sich auf die Bettkante, betrachtete sie und sein Herz zog sich zusammen.
Zwei Wochen waren erst vergangen, seit sie von Nottingham aufgebrochen waren. Und diese zwei Wochen hatten genügt, um aus der strahlend schönen, blutjungen und lebensfrohen Lady Cathryn Jourdan einen anderen Menschen zu machen. Sie war gealtert, wirkte nicht mehr wie ein 18-jähriges Mädchen, sondern wie eine Frau von Ende Zwanzig. Cassian seufzte. Ich hätte sie niemals hierher bringen sollen. Im Kloster wäre sie besser aufgehoben gewesen. Dieses Leben hier wird sie eines Tages umbringen.
Tränen stiegen ihm in die Augen, als er Cathryn so elend daliegen sah. Sie darf nicht mehr waschen gehen, beschloss er. Er dachte an die wenigen Geldstücke, die er für einen langen Tag schwerer Arbeit im Hafen bekam, spürte die eigene Erschöpfung. Am liebsten hätte er sich neben Cathryn gelegt. Doch das erlaubte er sich nicht. Er war der Mann. Er hatte sich und ihr geschworen, so gut für sie zu sorgen, wie er nur konnte. Und er würde sein Versprechen halten, würde nicht länger dulden, dass sie die schwere Arbeit einer Wäscherin verrichtete. Er musste eben noch länger arbeiten, noch härter schuften. Seine Schulter brannte wie Feuer. Der Schmerz darin hatte nicht nachgelassen. Im Gegenteil. Kaum bewegte er den Arm nur ein wenig, so hatte er das Gefühl, tausend Messer würden in der Wunde stecken und von einem Teufel ganz langsam gedreht werden. Auch sein Kopf war schwer. Ein dumpfer Schmerz lag hinter den Augen, sein Mund war trocken, die Lippen rissig. Obwohl es drauβen warm war, hatte Cassian den ganzen Tag lang gefroren. Jetzt,am Abend, fror er so stark, dass seine Zähne unwillkürlich aufeinander klapperten. Auch ihm tat jeder einzelne Muskel weh, der ganze Körper schmerzte von Kopf bis Fuβ und Cassian wusste, dass dieser Schmerz nicht von der Erschöpfung herrührte. In der Schulterwunde klopfte und pochte es, als wohne ein Kobold darin. Selbst die kleinste Bewegung verursachte die allergröβten Qualen. Nur mit zusammengebissenen Zähnen hatte er es heute geschafft, die schweren, mit Pech verschmierten Fässer aus dem Hafenkontor die Schräge hinauf auf das
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