Entscheidung der Herzen (German Edition)
Trauer. Ja, auch David vermisste seinen Freund Cassian von Arden. Und auch er wüsste nur zu gern, wie es ihm erging.
Cathryn begann zu weinen. »Oh, ich schäme mich so wegen des Briefes, den mich Sir Baldwin zu schreiben zwang. Oh, Gott, wenn ich Cassian nur erklären könnte, wanim ich ihn wirklich verlassen musste. Ich hatte doch geschworen, ihn niemals im Stich zu lassen. Und nun habe ich es doch getan.«
»Nein, Cathryn, das hast du nicht. Du hattest keine Wahl. Wärst du nicht mit Sir Baldwin zurück nach Hause gekehrt, so wärst du jetzt eine verurteilte Diebin, der man die Hand abgeschlagen hätte und Cassian säβe im dunkelsten Kellerloch, wenn er nicht vorher allein in seiner Kammerverhungert oder von den Stadtschergen aufgeknüpft worden wäre. Du hast ihn nicht verraten, Cathryn, im Gegenteil: Du hast ihm das Leben gerettet.«
»Um ihm gleich darauf vollkommen mittellos und schwer krank seinem Schicksal zu überlassen«, wandte Cathryn, noch immer schluchzend, ein.
»Ach, wenn ich dir nur helfen könnte«, flüsterte David und strich ihr behutsam über den Rücken. »Bei Gott, ich würde alles tun, damit Cassian und du endlich glücklich werden könntet.«
»Wirklich alles?«, fragte Cathryn, hob den Kopf und sah dem Bruder mit tränennassem Gesicht in die Augen.
»Ja«, erwiderte David. »Fast alles.« Er lachte und drohte Cathryn spaβhaft mit dem Finger, um die Traurigkeit zu vertreiben. »Nur meinen Anteil an Margaretes Honigkuchen bekommt ihr nicht.«
Cathryn lächelte kurz, doch gleich darauf wurde sie wieder ernst. »David?«, fragte sie leise und flehentlich. »Würdest du für mich nach London reiten und nach Cassian suchen? Ich bitte dich sehr darum.«
David nickte. »Er hat dafür gesorgt, dass eine Wagenkolonne meinen schwarzen Hengst zurückgebracht hat, kaum, dass ihr in London angekommen ward. Seinen letzten Heller hat er dafür gegeben.«
Er schüttelte den Kopf, wenn er daran dachte und fügte leise hinzu: »Jeder andere hätte das Tier wohl verkauft. Aber nicht Cassian. Für ihn war es eine Frage der Ehre, den geliehenen Gaul so schnell wie möglich zurückzuführen.«
Er sah einen Moment zum Himmel hoch, der wie ein dunkelblaues Samttuch über den Hügeln lag. Dann schloss er die hölzernen Läden, die Fenster und zog die Gardine vor. Er nahm Cathryn beim Arm, führte sie zu einerbequemen Bank, die sich um einen Ofen mit blauen Kacheln zog und entzündete mehrere Wachslichter in einem silbernen Leuchter.
»Ich werde nach London reiten. Gleich morgen früh breche ich auf.«
»Danke, Cassian. Ich danke dir sehr dafür«, antwortete Cathryn mit einem Seufzer der Erleichterung.
»Nein, du brauchst mir nicht zu danken. Cassian von Arden ist mein Freund. Der beste, den ich jemals hatte, der beste, den man sich nur wünschen kann. Und er wird es für immer bleiben. Meine Pflicht als Freund ist es, die mich nach London treibt.«
Cathryn stand am Fenster, als David am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe aufbrach. Sie hatte ihm eine goldene Kette mitgegeben, die er Cassian überreichen sollte. Lady Elizabeth hatte ihr diese Kette zu ihrem 15. Geburtstag geschenkt. Cathryn hatte diese Kette stets um den Hals getragen bis zu dem Tag, an dem sie die Jourdan-Manors verlassen hatte, um in ein Kloster zu gehen.
Jetzt trug David sie in seinem ledernen Beutel, zusammen mit einer Locke von Cathryns Haar. Noch ein letztes Mal winkte ihr der Bruder, dann ritt er im ausgesessenen Trab über den Schlosshof, passierte das groβe Tor und verschwand wenig später hinter einer Wegbiegung, die zur groβen Straβe nach Nottingham, Leicester und von dort nach London führte.
Es waren nur wenige Monate vergangen, seit Cathryn mit Cassian diese Strecke hinter sich gebracht hatte.
Wenn sie daran dachte, wie glücklich und hoffnungsfrohsie damals gewesen war! Und jetzt? Wie sah ihr Leben jetzt aus?
Sie war wieder zu Hause im Schloss ihrer Eltern, genoss die Liebe ihrer Mutter und die Zuneigung ihres Vaters, hatte genug zu essen und schlief in einem weichen Bett auf Daunenkissen. Und doch war sie nicht glücklich. Im Gegenteil: Sie sehnte sich mit der ganzen Kraft ihres Herzens nach London zurück. Mochte die Kammer auch klein und schäbig gewesen sein, die Arbeit als Wäscherin so schwer, dass sie sie bis an den Rand ihrer Kräfte brachte, und das Leben im Allgemeinen so hart, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte: Sie war trotzdem glücklich gewesen. Glücklich, weil der Mann, den sie
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