Entscheidung in Cornwall
lassen?«
»Nein, vielen Dank.« Ramona schluckte. Wenn sie mit ihm sprach, hatte sie immer eine strohtrockene Kehle. »Zuerst möchte ich meine Mutter sehen.«
»Es gibt einiges, was ich mit Ihnen besprechen möchte.«
Ramona fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen – das einzige äußere Zeichen ihrer Erregung. »Nachdem ich sie gesehen habe.«
»Nun gut.« Dr. Karter nahm ihren Arm, und sie verließen das Zimmer. Durch den stillen Flur gingen sie zum Lift. »Miss Williams …«, begann er. Er hätte sie gern Ramona genannt. Für ihn und die übrige Welt war sie Ramona, doch es gelang ihm nie, den Panzer der Zurückhaltung zu durchbrechen, hinter dem sie sich in seiner Gegenwart verschanzte. Sie tat es, weil er ihre Geheimnisse kannte, das war ihm klar. Zwar vertraute sie ihm und wusste, dass sie bei ihm gut aufgehoben waren. Trotzdem war ihr immer unbehaglich zumute, wenn sie mit ihm zusammen war. Jetzt wandte sie sich ihm zu, ihre großen grauen Augen sahen ihn sehr direkt an, waren jedoch völlig ausdruckslos.
»Ja, Doktor?« Nur einmal war sie in seiner Gegenwart zusammengebrochen, und sie hatte sich geschworen, dass ihr das nie wieder passieren sollte. Sie ließ sich von der Krankheit ihrer Mutter nicht zu Grunde richten, und sie würde sich auch in der Öffentlichkeit nicht gehen lassen.
»Erschrecken Sie bitte nicht, wenn Sie Ihre Mutter sehen«, sagte er. Sie stiegen in den Lift, und Dr. Karter ließ seine Hand auf ihrem Arm liegen. »Sie hat bei ihrem letzten Aufenthalt hier großartige Fortschritte gemacht, aber sie hat die Therapie vorzeitig abgebrochen, wie Sie wissen. In den vergangenen drei Monaten hat sich ihr Zustand sehr verschlimmert.«
»Versuchen Sie nicht, mich zu schonen«, sagte Ramona müde. »Ich weiß, wo und wie man sie gefunden hat. Sie wird hier wieder trocken werden … dank Ihrer unermüdlichen Arbeit, aber nach zwei Monaten wird sie ebenso wieder weglaufen, und alles fängt von vorn an. Es wird sich nie etwas ändern.«
»Alkoholiker führen eben einen unaufhörlichen Kampf.«
»Erzählen Sie mir bitte nichts über Alkoholiker!«, entgegnete sie heftig. Ihre Zurückhaltung wurde brüchig, und darunter kamen ihre Gefühle zum Vorschein. »Predigen Sie mir nicht von Kämpfen.« Sie unterbrach sich, schüttelte den Kopf und presste die Finger an die Schläfen. »Ich weiß alles über Alkoholiker«, fuhr sie ruhiger fort, »habe jedoch weder Ihre Hingabe noch Ihren Optimismus.«
»Aber Sie bringen sie immer wieder zu uns zurück«, gab er ihr zu bedenken.
»Sie ist meine Mutter.« Der Lift hielt, die Tür glitt auseinander, und sie stiegen aus.
Ramona fror noch stärker, während sie durch den langen Flur gingen. Zu beiden Seiten waren Türen, doch sie weigerte sich, an die Menschen in den dahinter liegenden Räumen zu denken. Hier sah es schon mehr nach einem Krankenhaus aus.
Ramona glaubte Desinfektionsmittel zu riechen, und ihr wurde wie immer davon übel.
Als Dr. Karter vor einer Tür stehen blieb und nach der Klinke griff, legte sie die Hand auf die seine.
»Ich möchte allein mit ihr sprechen«, sagte sie.
Er fühlte, dass sie sich eisern beherrschte. Zwar wirkte sie ruhig, doch er hatte Panik in ihren Augen aufblitzen sehen. Ihre Finger, die auf seinem Handrücken lagen, zitterten nicht, waren aber steif und eiskalt.
»In Ordnung«, sagte er. »Ich erlaube Ihnen ein paar Minuten. Es gibt Komplikationen, über die wir sprechen müssen.« Er nahm die Hand von der Klinke. »Ich warte hier auf Sie.«
Ramona nickte und drückte die Klinke herunter. Sie brauchte noch einen Moment, um ihre ganze Kraft zusammenzunehmen, dann ging sie hinein.
Ihre Mutter lag in einem Krankenhausbett. Sie hing an einem Tropf, der in die Armvene führte, und schien zu schlafen. Die Vorhänge waren zugezogen, das Zimmer war abgedunkelt. Es war ein gemütliches Zimmer mit hellblauen Wänden, einem elfenbeinfarbenen Teppich und ein paar guten Bildern.
Die Finger um ihre Ledertasche verkrampft, näherte sich Ramona dem Bett.
Sie hat eine Menge Gewicht verloren, war ihr erster Gedanke. Die Mutter hatte eingefallene Wangen und die krankhaft gelbliche Haut, die Ramona so gut kannte. Ihr Haar war ganz kurz geschnitten und schon ziemlich grau. Und sie hat so wunderschönes Haar gehabt, dachte Ramona. Glänzendes, dichtes Haar. Das Gesicht war abgemagert, unter den Augen lagen dunkle Ringe, der Mund schien eingesunken, und die Lippen waren rissig vor Trockenheit. Die Hilflosigkeit dieser
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