Entscheidung in Cornwall
»Essen wir zusammen, Ramona«, sagte er. Er wollte bei ihr sein, ihren Panzer durchbrechen. »Ich lade dich ins Bistro ein. Dort warst du doch immer gern.«
»Nicht heute Abend, Brian. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
»Dann morgen.« Er wusste, dass er sie bedrängte, doch er konnte nicht anders. Sie sah plötzlich müde aus.
»Schön, dann morgen.« Ramona lächelte gezwungen. »Tut mir leid, aber ich muss dich jetzt bitten zu gehen, Brian. Ich wusste nicht, dass es schon so spät ist.«
»In Ordnung.« Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie leicht. Es drängte ihn, sie zu wärmen und zu beschützen. »Morgen, sieben Uhr«, sagte er. »Ich bin im ›Bel Air‹ abgestiegen. Wenn du etwas brauchst, ruf mich an.«
Ramona wartete, bis die Tür hinter ihm zugefallen war, und presste dann den Handrücken gegen die Stirn. Wie eine Flutwelle schlugen die Gefühle über ihr zusammen. Sie weinte nicht, aber hinter ihrer Stirn tobte ein wahnsinniger Schmerz. Plötzlich fühlte sie Julies Hand auf der Schulter.
»Hat man sie gefunden?«, fragte Julie besorgt. Automatisch begann sie Ramonas Schultern zu massieren, um ihre Spannung zu lösen.
»Ja, man hat sie gefunden.« Ramona atmete aus, als habe sie lange die Luft angehalten. »Sie kommt zurück.«
4. K APITEL
Das Sanatorium war schneeweiß verputzt. Ein bekannter Architekt hatte das harmonische Gebäude entworfen, in dem keineswegs medizinische Zweckmäßigkeit überwog. Wer nicht Bescheid wusste, konnte es für ein exklusives Hotel halten, das sich in die malerische kalifornische Landschaft schmiegte. Es war ein stolzer, eleganter Bau mit einer wunderbaren Aussicht aus allen Fenstern. Ramona verabscheute ihn.
Die Parkettböden waren mit dicken Teppichen belegt, und man sprach nur gedämpft miteinander. Ramona verabscheute auch diese unnatürliche Stille.
Das Pflegepersonal trug Straßenkleidung und war nur an kleinen diskreten Namensschildchen zu erkennen. Es zählte zu den besten des Landes, ebenso wie die »Fieldmore Klinik« die beste für Entziehungskuren aller Art an der Westküste war. Ramona hatte sich sehr genau nach dem Ruf der Klinik erkundigt, bevor sie ihre Mutter vor mehr als fünf Jahren zum ersten Mal hierhergebracht hatte.
Jetzt wartete Ramona in Dr. Justin Karters getäfeltem und geschmackvoll eingerichtetem Büro mit den hohen Bücherregalen an drei Wänden. Durch ein großes Fenster schien die Morgensonne auf üppige grüne Blattpflanzen.
Ramona fragte sich, warum ihre eigenen Pflanzen sich immer nur kümmerlich entwickelten und am Ende doch eingingen. Vielleicht sollte sie Dr. Karter nach dem Geheimnis seines Erfolgs fragen. Sie lachte leicht und bemühte sich, mit den Fingerspitzen den hartnäckigen Schmerz wegzumassieren, der zwischen ihren Augen saß.
Wie sie diese Besuche und den Ledergeruch hasste, den dieses Büro verströmte. Ihr war kalt, sie legte die Arme in Taillenhöhe schützend vor ihren Körper. Sie fror immer, wenn sie in die Fieldmore Klinik kam, und zwar von dem Moment an, in dem sie das Haus durch die hohe weiße Doppeltür betrat, und auch noch lange, nachdem sie es wieder verlassen hatte. Es war eine durchdringende Kälte – eine Kälte bis ins Mark. Ramona wandte sich vom Fenster ab und begann nervös auf und ab zu gehen. Als sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde, blieb sie stehen und drehte sich langsam um.
Dr. Karter trat ein, ein kleiner, jugendlicher Mann mit einem weizenblonden Bart und gesunden Apfelbäckchen. Er hatte ein ernstes Gesicht, das durch die Hornbrille noch ernster wirkte. Unter anderen Umständen hätte Ramona sein Gesicht sympathisch gefunden.
»Miss Williams.« Er streckte die Hand aus und drückte kurz und sachlich die ihre. Sie war so kalt und zerbrechlich, wie er sie im Gedächtnis hatte. Das Haar hatte sie im Nacken aufgesteckt, und in dem dunklen Kostüm wirkte sie sehr jung und sehr blass. Von der lachenden, quirligen Entertainerin, die er vor ein paar Wochen im Fernsehen bewundert hatte, war sie Welten entfernt.
»Hallo, Dr. Karter.«
Er war immer wieder überrascht, dass die volltönende Stimme zu einer so kleinen, zarten Person gehörte. Das Gleiche hatte er schon vor Jahren gedacht, als sie noch ein halbes Kind gewesen war. Doch obwohl er ihr Fan war, hatte er sie noch nie gebeten, ihm ein Album zu signieren. Irgendwie wäre es ihnen beiden peinlich gewesen, das wusste er.
»Nehmen Sie bitte Platz, Miss Williams. Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen
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