Entscheidung in Cornwall
die übermütigen Augen der Carstairs. Mit diesen beiden hatte Brians Schwester wohl alle Hände voll zu tun.
Vor dem Bild von Brians Eltern blieb Ramona sehr lange stehen. Die hohe, schmale Gestalt hatten sie alle von ihrem Vater geerbt, doch sein helles Haar hatte er nur an eines seiner Kinder weitergegeben. Ramona schätzte, dass das Foto zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt sein musste. Es war ein unnatürliches, gestelltes Bild, in dem der Mann und die Frau in ihrem besten Sonntagsstaat der Mittelpunkt waren und so hölzern dastanden wie Statuen. Die Frau war dunkel und sehr hübsch. Der Mann sah ein bisschen verlegen drein, weil man ihn zwang zu posieren, aber die Frau lächelte strahlend in die Kamera. In ihren Augen funkelte Übermut, und der kecke Zug um ihren Mund fand sich verstärkt bei ihren Kindern wieder.
Es standen noch mehr Fotos da: Gruppenbilder der Familie und Schnappschüsse, auf denen auch Brian ein paar Mal zu sehen war. Die Familie Carstairs schien sehr eng miteinander verbunden zu sein.
In Ramona regte sich leichter Neid. Sie wandte sich lächelnd zu Brian um. »Was für eine hübsche Gruppe.« Sie zeigte mit dem Finger hinter sich auf das Kaminsims. »Du bist der Älteste, nicht wahr? Ich glaube, ich habe es irgendwo gelesen. Die Familienähnlichkeit ist erstaunlich.«
»Wir alle, außer Alison, sind nach unserer Mutter gekommen«, erwiderte Brian und blickte an Ramona vorbei auf die gerahmte Familienchronik. Er fuhr sich mit der Hand durch das feuchte Haar und kam auf Ramona zu. »Ich bringe dich jetzt in dein Zimmer hinauf, Schatz, damit du auspacken und dich einrichten kannst. Die große Hausbesichtigung kann warten.« Er legte den Arm um sie. »Ich bin froh, dass du hier bist, Ramona. Bisher habe ich dich noch nie zwischen Dingen gesehen, die mir gehören. Und Hotelzimmer, gleichgültig, wie luxuriös sie sein mögen, sind nie ein Zuhause.«
Als sie sich später im angenehm warmen Wasser rekelte, dachte Ramona über Brians Worte nach. Es gehörte zu ihrem Beruf, dass man viele Nächte in Hotelzimmern verbringen musste. Und wenn es auch, ihrem Status entsprechend, Luxussuiten waren, es blieben Hotelzimmer. Ein Zuhause war den Zeiten zwischen den Konzerten und Gastauftritten vorbehalten, und für sie hatte es mit den Jahren eine immer größere Bedeutung gewonnen. Je berühmter sie wurde, je höher sie stieg, desto wichtiger war für sie eine feste Basis. Und ihr wurde klar, dass es Brian genauso ging.
Sie waren beide ein paar Wochen lang ständig unterwegs gewesen und hatten aus dem Koffer gelebt. Er war jetzt zu Hause, und Ramona fühlte, dass auch sie hier zu Hause sein würde.
Obwohl das Haus alt und riesengroß war, konnte man sich darin geborgen fühlen. Vielleicht, dachte sie, während sie sich gemächlich ein Bein einseifte, liegt es gerade am Alter und an der Größe.
Tradition bedeutete ihr viel, da sie in ihrem Leben völlig fehlte, und sie liebte es auch, viel Raum um sich zu haben, da sie als Kind und sehr junges Mädchen immer so beengt leben musste.
Ramona hatte sich dem Haus sofort irgendwie verbunden gefühlt. Sie liebte das gedämpfte Brausen der Brandung und die atemberaubend schöne Aussicht vor ihren Fenstern. Ihr gefiel die altmodische Emaillebadewanne mit den geschwungenen Füßen und der ovalen Spiegel im Mahagonirahmen über dem winzigen Waschbecken, das auf einem Waschtisch stand.
Ramona stand in der Badewanne auf und griff nach dem Badelaken, das über einer Heizstange hing.
Nachdem sie sich trocken gerieben hatte, wickelte sie sich in das große gelbbraune Frotteetuch. Während sie in ihr Schlafzimmer zurückging, begann sie zerstreut die beiden Zöpfe zu lösen, die sie während des Badens hochgesteckt hatte.
Ihr Gepäck stand neben einer alten Metalltruhe, doch Ramona hatte keine Lust, jetzt auszupacken. Sie ging zu der Fensterbank an der Südseite des Zimmers und kniete sich auf den gepolsterten Sitz.
Unter ihr schlug die vom Wind gepeitschte See an die Felsen. Es gab ein lang gezogenes, saugendes Geräusch, bevor sie auf den Strandkies und die Klippen prallte. Die Wellen waren bis auf die weißen Schaumkronen, die sie sich aufsetzten, grau wie der Himmel. Es regnete noch immer leicht, kleine Tropfen setzten sich auf die Fensterscheiben und rutschten träge daran herunter.
Ramona legte die Arme auf das breite Fenstersims, stützte das Kinn in die Hände und verlor sich in der träumerischen Betrachtung des Schauspiels unter
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