Entscheidung in Cornwall
Allmählich fing Ramona an, den Tod der Mutter als unausweichliches Ende einer langen, zerstörerischen Krankheit zu akzeptieren.
Sie weinte nicht, denn sie hatte schon so lange getrauert, und sie wusste, dass es Zeit war, diese Trauer endlich abzulegen. Sie hatte das Leben ihrer Mutter nie in den Griff bekommen. Jetzt brauchte sie Kraft für ihr eigenes Leben.
Ein Dutzend Mal rief Ramona in diesen Tagen im Haus in Cornwall an, doch es meldete sich nie jemand. Fast glaubte sie, das hohle Klingeln zu hören, das durch die leeren Räume hallte. Mehr als einmal dachte sie daran, einfach ein Flugzeug zu besteigen und zurückzufliegen, doch sie schob den Gedanken immer wieder beiseite. Brian wartete bestimmt nicht auf sie.
Wo kann er nur sein?, fragte sie sich immer wieder. Wohin ist er gegangen? Er hat mir nicht verziehen.
Und, was noch schlimmer war, er würde ihr nie verzeihen.
Nachdem sie den Telefonhörer zum letzten Mal aufgelegt hatte, betrachtete Ramona sich prüfend im Spiegel ihres Schlafzimmers. Sie war blass. Irgendwie wirkte sie hilflos und verloren. Kopfschüttelnd griff sie nach dem Rouge. Geliehene Farbe war besser als gar keine. Irgendwo musste sie den Anfang machen.
Ja, dachte sie wieder und fuhr sich mit dem kleinen Zobelpinsel über die Wange, irgendwo muss ich anfangen. Sie wandte sich vom Spiegel ab und griff nach dem Telefon.
Eine halbe Stunde später kam sie in einem schwarzen Seidenkleid die Treppe herunter. Sie hatte sich das Haar aufgesteckt und setzte sich, als sie die Halle betrat, im Gehen einen kleinen schwarzen Hut mit steifer Krempe auf.
Julie kam aus ihrem Büro. »Gehst du aus, Ramona?«
»Ja, wenn ich meine kleine flache Tasche und die Autoschlüssel finde, die eigentlich drin sein müssten.« Sie kramte schon im Garderobenschrank herum.
»Geht es dir auch gut, Ramona?«
Ramona begegnete Julies Blick. »Es geht mir besser«, antwortete sie, wusste jedoch, dass Julie sich mit einer so unverbindlichen Antwort nicht zufriedengeben würde. »Ich versuche nur zu beherzigen, was du mir nach der Beerdigung gepredigt hast, und sage mir immer wieder, dass mich keine Schuld trifft.«
»Es war keine Predigt«, entgegnete Julie. »Ich habe ganz einfach eine Tatsache festgestellt. Du hast alles Menschenmögliche getan, um deiner Mutter zu helfen. Mehr als du hätte niemand tun können.«
Ramona seufzte trotzdem. »Ich habe alles nach bestem Wissen und Gewissen getan, und das kommt wahrscheinlich auf das Gleiche hinaus.« Sie schloss die Schranktür und schüttelte die trübe Stimmung ab. »Es geht mir wirklich besser, Julie, und ich werde bald wieder ganz in Ordnung sein.«
Sie lächelte und bemerkte, über Julies Schulter blickend, eine leichte Bewegung. Im nächsten Moment trat Wayne aus dem Büro. »Hallo«, sagte Ramona, »ich wusste gar nicht, dass du hier bist.«
Er ging an Julie vorbei und musterte Ramona kritisch. »Also, ich muss schon sagen, dieses Kleid steht dir ausgezeichnet«, erklärte er. »Es gefällt mir.«
»Das sollte es auch«, erwiderte sie trocken. »Du hast ein Vermögen dafür verlangt.«
»Rede nicht wie ein Geizhals, Liebling. Kunst ist unbezahlbar.« Er schnippte ihr mit dem Finger ein unsichtbares Stäubchen von der Schulter. »Wohin willst du?«
»Ich bin mit Henderson bei ›Alphonso’s‹ zum Lunch verabredet.«
Wayne tippte ihr auf die Wange. »Bisschen zu tief in den Rougetiegel gegriffen«, sagte er.
»Ich habe es satt, blass auszusehen. Hör auf, an mir rumzumäkeln.« Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf die Wange. »Du warst wie ein Fels in der Brandung, Wayne. Ich bin dir unendlich dankbar, dass du mir in den letzten Tagen zur Seite gestanden hast.«
»Ach, ich brauchte doch nur einen Vorwand, um nicht wieder in die Tretmühle zu müssen.«
Sie nahm die Hände von seinen Wangen und drückte ihm leicht den Arm. »Jetzt hör auf, dir Sorgen um mich zu machen. Und du auch«, wandte sie sich an Julie. »Ich treffe mich mit Henderson, um die Pläne für eine neue Tournee mit ihm zu besprechen.«
»Eine neue Tournee?« Julie runzelte die Stirn. »Ramona, du hast jetzt über sechs Monate ununterbrochen gearbeitet. Das Album, die Tournee, das Musical. Du brauchst unbedingt eine Pause.«
»Nach alledem ist eine Pause genau das, was ich nicht brauche«, widersprach Ramona. »Ich möchte arbeiten.«
»Dann schlage ich dir vor, dass du auf deinen Plan zurückkommst, dir eine Hütte in den Bergen von Colorado zu mieten«,
Weitere Kostenlose Bücher