Entscheidung in Gretna Green
hätte beinahe laut aufgelacht. „Ganz im Gegenteil, Mr. Mobley.“
Anscheinend missverstand der Wirt ihre Bemerkung. „Eine Liebesheirat, also? Das erstaunt mich eigentlich nicht. Die entzückende junge Dame hing förmlich an seinen Lippen und hatte nur Augen für ihn.“
Hatte sie in ihrer Jugend Percy Lyte ähnlich angehimmelt? Felicity zuckte bei diesem Gedanken innerlich zusammen. Und sie fragte sich, was die lebenssprühende Miss Greenwood bewegt haben mochte, sich in ihren stillen, in sich gekehrten Neffen zu verlieben, wenn sie es nicht auf das Vermögen abgesehen hatte, das er einst erben würde.
„Hier sind wir, Mylady.“ Der Wirt öffnete die letzte Tür im Flur. „Soll ich meine Frau mit einem Frühstückstablett heraufschicken?“
In diesem Moment stieg Felicity der Essensgeruch aus der Küche in die Nase, und erneut überkam sie Übelkeit. „Tee und Zwieback, mehr nicht. Mit vollem Magen kann ich nicht schlafen.“
„Tee und Zwieback.“ Der Wirt lachte kopfschüttelnd in sich hinein. „Als meine Frau in anderen Umständen war, ernährte sie sich ausschließlich davon.“
Als ihm die Bedeutung seiner Bemerkung gewahr wurde, lief Mr. Mobley rot an wie eine Tomate. „Tee und Zwieback, sehr wohl. Kommt sofort, Mylady. Und wenn Sie sonst noch etwas brauchen, klingeln Sie einfach.“
„Danke, das wird nicht nötig sein, Mr. Mobley.“ Felicity war beinahe so verlegen wie der Wirt.
Sie huschte ins Zimmer und hätte am liebsten die Tür hinter sich zugeknallt. „Er hat sich nichts dabei gedacht“, flüsterte sie in sich hinein und sank aufs Bett. „Er kann unmöglich Verdacht geschöpft haben.“
Dennoch verstörte sie Mr. Mobleys beiläufige Bemerkung, die ihr ihren Zustand greifbarer machte.
In ihrem Leib wuchs ein Kind heran – das Kind, nach dem sie sich so lange Jahre vergeblich gesehnt hatte. Irgendwie erleichterte sie der Gedanke, kein Kind von Percy empfangen zu haben, denn dieses kleine Wesen blieb verschont von der Last, Ambitionen, Namen und Adelstitel der Familie Lyte fortzuführen. Dieses Kind gehörte ihr, ihr ganz allein. Sie würde es in Liebe heranwachsen sehen, es umsorgen und beschützen.
Die widersprüchlichen Empfindungen der letzten Tage verloren allmählich ihre Macht, als Felicity sich ausmalte, wie sie mit einem kleinen Jungen ein Spielzeugboot zu Wasser ließ … ein kleines Mädchen auf ihrem Schoß saß, während beide vierhändig auf dem Pianoforte spielten. Endlich würde sie die Mutterfreuden genießen; sie würde ihrem Kind die behütete, unbeschwerte Kindheit bieten, die ihr selbst versagt geblieben war.
Und dann wandte ihr das Traumkind sein süßes Köpfchen zu und beglückte sie mit einem zärtlichen ernsthaften Blick aus Hawthorn Greenwoods Augen.
6. KAPITEL
Felicitys Lider flatterten und öffneten sich träge.
Auf dem Stuhl neben der Tür kämpfte Hawthorn dagegen an, dass ihm die Augen zufielen. Er hatte sich vor einer Wei le in ihr Zimmer im King’s Arms geschlichen, um sie wissen zu lassen, dass er seinen Auftrag in Berkeley erledigt hatte. Nun war es also Zeit, bald aufzubrechen.
Als er sie schlafend auf dem Bett vorgefunden hatte, völlig entspannt, mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, hatte er es nicht übers Herz gebracht, sie zu wecken, sich auf den einzigen Stuhl in der bescheidenen Kammer gesetzt und sich in ihren entzückenden Anblick vertieft.
Endlich schlug sie die Augen auf.
Im ersten verträumten Moment des Erwachens ruhten ihre Augen auf Hawthorn, ein Blick, verheißungsvoll wie ein strahlender Frühlingstag. Tief in seinem erkalteten Herzen keimte ein zarter Spross und reckte sich der lebensspendenden Sonnenwärme entgegen.
Wäre er nicht selbst schlaftrunken gewesen, er hätte gewusst, dass dieser sanfte Blick ein Trugbild war, eine flüchtige köstliche Fantasie, wie alles an seiner Romanze mit Felicity Lyte.
In der nächsten Sekunde bereits weiteten sich ihre Augen, und sie fuhr mit einem Schreckenslaut hoch.
„Was tun Sie hier?“ Sie griff sich an den Busen, als wolle sie ihr klopfendes Herz beruhigen. „Wie lange sitzen Sie schon hier?“
Ihr scharfer Ton stach wie eine Dolchspitze in sein Herz. Lag in ihm Abneigung? … Oder Angst?
Hawthorn war zu benommen für eine ähnlich scharfe Entgegnung. „Kein Grund zur Aufregung. Ich sitze höchstens eine halbe Stunde hier und habe Ihnen beim Schlafen zugesehen. Eigentlich wollte ich Sie wecken, aber Sie schliefen so friedlich, dass ich nicht stören
Weitere Kostenlose Bücher