Entscheidung in Gretna Green
hatten endlich ihre Rechnungen bezahlt und verließen lärmend den Vorraum, und Hawthorn war froh um die Unterbrechung.
Sobald auch die Nachzügler gegangen waren, wandte er sich an den Wirt. „Wir müssen in ein paar Stunden wieder aufbrechen, aber Lady Lyte braucht ein Zimmer, um sich auszuruhen. Auch ihre Diener müssen ein paar Stunden schlafen.“
Die Augen des Wirts leuchteten auf. Er freute sich sichtlich, mehrere Zimmer zweimal an einem Tag zu vermieten.
„Stets zu Diensten, Sir.“
„Die Pferde müssen gleichfalls versorgt werden.“
„Ich weise die Stallburschen an, sich besonders sorgsam um die Pferde zu kümmern, Mister …“
„Greenwood. Hawthorn Greenwood.“ Die Unterwürfigkeit und kaum verhohlene Neugier des Wirtes störten ihn erheblich. „Ich bin ein guter Bekannter von Lady Lyte. Die … ähm … Braut ihres Neffen ist meine Schwester.“
„Tatsächlich, Sir?“ Der Wirt strahlte übers ganze Gesicht, wie alle Leute, wenn man von Ivy sprach. „Eine entzückende junge Dame. Ganz das Gegenteil des gelehrten Mr. Armitage. Aber Gegensätze ziehen sich an, und die Liebe geht oft seltsame Wege, stimmt’s, Sir?“
„Mag sein.“ War das auch die Erklärung für seine eigenen unberechenbaren Gefühle für Felicity?, schoss es Hawthorn durch den Sinn.„Haben Mr. Armitage oder meine Schwester zufällig erwähnt, wo sie in Gloucester logieren wollten?“
Der Wirt grinste noch breiter. „Ja, Sir. Mr. Armitage fragte, ob ich eine Herberge empfehlen könne, wo sie auch zu später Stunde noch willkommen sind.“
„Und?“ Er zwang sich, sein brennendes Interesse zu verbergen. „Konnten Sie ihm behilflich sein?“
„Das will ich meinen, Mr. Greenwood. Der Vetter meiner Frau führt ein Gasthaus in der Altstadt zwischen Kathedrale und Rathaus, etwas abgelegen von den großen Herbergen an den Straßen nach London und Bristol. Ich sagte Mr. Armitage, dass er und seine Braut bei meinem Verwandten gewiss Zimmer bekämen, auch wenn sie spät nachts an die Tür klopften.“
„Sehr freundlich von Ihnen.“ Hawthorn fischte einen Schilling aus der Tasche und reichte ihn dem Wirt, der die Münze zunächst entrüstet ablehnte, sie dann aber doch rasch einsteckte.
„Ich lasse die Zimmer für Lady Lyte und ihre Diener sofort herrichten, Mr. Greenwood.“
„Da wäre noch eine Kleinigkeit.“
„Ja, Sir. Was kann ich noch für Sie tun?“
„Auf der Straße von Bristol gab es einen lästigen Zwi schenfall. Wir hatten ziemlichen Ärger … mit einem Straßenräuber.“
„Gütiger Himmel, Sir!“ Der Wirt riss die Augen erschrocken auf. „Hoffentlich wurde niemand verletzt. Dieser Halunke macht die Straßen schon seit ein paar Wochen unsicher. Sie sind nicht meine ersten Gäste, die von ihm belästigt wurden.“
„Ich hoffe nur, wir waren die letzten.“ Hawthorn nickte zur Haustür. „Wir haben den Strolch mitgenommen, um ihn bei der Schutzwache abzuliefern. Wo können wir ihn loswerden?“
„Am besten, Sie bringen ihn nach Berkeley, Mr. Greenwood.“ Der Gastwirt wies mit dem Daumen über seine Schulter. „Die Schutzmänner dort werden Ihnen dankbar sein, dass Sie ihn gefasst haben.“
Der Wirt entfernte sich watschelnd und Hawthorn wandte sich an Felicity, die auf einen nahe stehenden Stuhl gesunken war. Er hütete sich, ihr elendes Aussehen noch einmal zu erwähnen. Aber im Stillen machte er sich Vorwürfe, sie letzte Nacht nicht auf die Sitzbank gebettet und mit seinem Umhang zugedeckt zu haben, wo sie gewiss besser geschlafen hätte als auf seinem Schoß.
Er ging vor ihr in die Hocke und nahm ihre Hand.
„Der Wirt riet mir, den Straßenräuber nach Berkeley zu bringen. Kommen Sie ohne mich zurecht?“
„Selbstverständlich.“ Felicity setzte sich gerade hin. „Ich bin weder ein Kind noch eine Tattergreisin, Mr. Greenwood. Ich brauche auch keinen Aufpasser. Schaffen Sie diesen Unhold nur fort, meinetwegen bis nach London. Ich komme sehr gut alleine zurecht.“
Unmögliche Person, seine Besorgnis einfach abzutun und ihn zu behandeln wie einen Dienstboten!
Aufgebracht schnellte er hoch. „Sie kamen ja auch gestern Nacht auf der Landstraße ohne mich sehr gut zurecht!“
Felicity bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Aha! Jetzt kommt also die Strafpredigt, die Sie sich bis jetzt verkniffen haben. Sparen Sie sich die Mühe.“
Diese gehässige Seite an ihr war ihm neu. Hawthorn fluch te innerlich. Er war ein Narr gewesen, sich von ihrem Geist, ihrer Schönheit und
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