Entscheidung in Gretna Green
war.“
Felicity hatte das Gefühl, alle Luft werde aus ihren Lungen gepresst, als habe ein tief hängender Ast sie getroffen. Sie fürchtete, das Gleichgewicht zu verlieren und vom Kutschbock zu stürzen.
Wie würde er reagieren, wenn er hinter ihr Geheimnis kam, das sie so ängstlich vor ihm verbarg?
Das war nicht schwer zu erraten. Er würde sie hassen, weil sie ihm die Wahrheit verschwiegen hatte, was ihn allerdings nicht davon abhalten würde, auf einer Heirat mit ihr zu bestehen – aus Pflichtgefühl und Ehrbarkeit. Für eine dauerhafte Beziehung wären diese Gründe genauso vermessen wie der Versuch, Reichtum gegen Ruhm oder Adelstitel zu tauschen. Diese bittere Erfahrung hatte sie in ihrer ersten Ehe selbst machen müssen, genau wie Merritt Temple.
Hawthorn schien zu spüren, wie elend ihr zumute war. Er nahm die Zügel in eine Hand und legte den freien Arm um ihre Schulter.
„Ist dir nicht gut?“, fragte er besorgt. „Macht dich die Höhe und das Schaukeln der Kutsche schwindelig? Soll ich anhalten und dem Kutscher die Zügel wieder übergeben?“
„Nein, nein, sei unbesorgt“, versicherte Felicity leichthin und hoffte, er würde keinen Verdacht schöpfen. „Ich dachte nur daran, wie grässlich das alles für Mr. Temple und deine Schwester gewesen sein muss. Wie hat sich dann alles doch noch zu einem guten Ende gefügt?“
„Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich meine Hände dabei im Spiel hatte.“ Er nahm die Zügel kürzer und brachte die Pferde in eine langsamere Gangart, da sie sich einem Dorf näherten. „Ich habe mir eine hinterhältige List ausgedacht wie nie zuvor in meinem Leben.“
Dabei klang er geradezu rührend stolz auf sich selbst. „Ich machte Merritt den Vorschlag, er solle ihr gegenüber behaupten, er habe sein ganzes Vermögen durch Fehlspekulationen verloren. So konnte er überprüfen, ob sie ihn wirklich von ganzem Herzen liebte.“
„Das war wirklich hinterhältig.“ Noch vor einer Woche hätte Felicity ihm nicht zugetraut, diese List auszuhecken. Doch seit der Nacht, in der er in heller Sorge und Aufregung um Ivy in ihr Haus gestürmt war, hatte Hawthorn Greenwood sich als Mann mit verborgenen Tiefen erwiesen.
„Hat deine Schwester ihm geglaubt?“
„Warum sollte sie daran zweifeln, nachdem unser Vater ähnliche Fehler gemacht hatte?“ Er warf Felicity einen flüchtigen Seitenblick zu. „Genau wie ich es mir erhofft hatte, schmälerten Merritts vermeintliche Verluste Rosemarys Gefühle für ihn nicht im Geringsten. Kurze Zeit später fand die Hochzeit statt und sie sind überglücklich miteinander. Wenn ich sie beide nicht so gern hätte, würde ich sie maßlos beneiden.“
Die Wehmut in seiner Stimme klang in Felicitys Herzen nach wie ein trauriges Echo.
„Und wie reagierte Rosemary, als sie feststellte, dass ihr Ehemann sie belogen hatte, dass er gar nicht verarmt war?“, fragte sie. „Im Grunde hätte deine Schwester ihm ja auch nicht verschweigen dürfen, dass ihre Familie in finanzielle Not geraten war.“
„Richtig. Die Situation war ziemlich verzwickt.“ Er überlegte kurz. „Rosemary kam wohl rasch zur Einsicht, dass beide durch Merritts harmlose List gleichauf waren. Jedenfalls war sie gerne bereit, ihm zu verzeihen.“
Sein verlegenes Lächeln wurde zu einem verwegenen Grinsen. „Vielleicht hat er ihr auch die Wahrheit in einem für ihn günstigen Moment gestanden, möglicherweise in der Hochzeitsnacht.“
„Tatsächlich?“ Felicity lachte und gleichzeitig durchlief sie ein Frösteln. Würde nicht auch sie Hawthorn alles verzeihen in Augenblicken seliger Zufriedenheit nach dem Liebesspiel?
Nur halb im Scherz fragte sie: „Was wäre, wenn ich dir sagte, ich hätte mein Vermögen verloren?“
Er lachte schallend. Dann wurde er ernst, dachte einen Moment nach und antwortete leise: „Ich würde dir die gleiche Antwort geben, die Rosemary Merritt gab. Das spielt keine Rolle für mich.“
Leicht gesagt, unter den Umständen, und dennoch sehnte Felicity sich danach, ihm zu glauben.
„Warte“, fuhr er fort. „Ich muss mich verbessern. Es würde eine Rolle spielen. Mir wäre nämlich lieber, wenn du kein großes Vermögen hättest. Denn dann hättest du die Gewissheit, dass meine Gefühle für dich wahrhaftig sind. Und es gäbe keinen schnöden Klatsch, ich würde dich wegen deines Geldes begehren oder du hättest es nötig, dir einen Ehemann zu kaufen.“
Aus seinem Mund klang das halb so schlimm, beinahe wünschenswert.
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