ENTSEELT
glauben würdest, selbst wenn du ihnen gegenüberstündest!«
»Ich habe schon eine gesehen«, erinnerte ihn Darcy.
»Ja, in einem Film. Aber du hast nicht gesehen, wie sie aus dem Himmel auf dich herabstürzen, jeder Zentimeter gepanzert und mit tödlichen Waffen gespickt. Und du hast die Knorpelkreaturen nicht gesehen, die sie züchten, um ihre Festen mit den Häuten und Knochen und Sehnen zu verstärken und zu dekorieren. Und Gott, du hast nie die Wesen gesehen, die sie für die eigene Wasserversorgung konzipiert haben. Du würdest sie dir nicht einmal vorstellen können.«
Sandra schloss die Augen, hob die Hand und schluckte. »Hör auf!« Sie hatte von diesen Dingern in den Keogh-Akten gelesen, und das war etwas, was sie auch von Harry selbst nicht hören wollte. Sie wusste, dass es bewegungsunfähige, kraftlose Kreaturen waren, deren Adern hunderte von Metern durch hohle Knochenröhren hinabreichten, um Wasser in die Bergfesten hochzupumpen. Und diese Kreaturen und Monstrositäten waren vor ihrer vampirischen Metamorphose Menschen gewesen. »Es reicht!«
»Ja«, sagte Darcy. »Sandra hat recht. Und vielleicht ist jetzt auch nicht die rechte Zeit, das alles durchzugehen. Ich werde nicht mehr schlafen können!«
Harry nickte. »Ich kann selten ruhig schlafen!«
Und auch wenn niemand das explizit vorgeschlagen hatte, holten sie drei Einzelbetten aus den Schlafzimmern in das große Wohnzimmer und stellten sie um den Tisch herum auf, um im selben Raum zu übernachten. Es war vielleicht nicht besonders zivilisiert, aber dafür das Sicherste.
Harry holte seine Armbrust aus einer Reisetasche, setzte sie zusammen und legte einen Bolzen ein. Er platzierte die geladene Waffe zwischen seinem und Darcys Bett auf dem Fußboden unter dem Tisch, wo niemand versehentlich darauf treten würde. Während die anderen ins Bad gingen und sich bettfertig machten, streckte er sich in einem Sessel aus und hüllte sich in eine Decke. Wenn es ihm später zu unbequem wurde, konnte er sich immer noch hinlegen.
In der Dunkelheit und Stille des Raumes, wo nur noch ein schwacher grauer Schimmer durch die verschlossenen Rollläden drang, fragte Darcy gähnend: »Und was steht morgen an, Harry?«
Harry brauchte nicht zu überlegen. »Wir müssen uns um Ken Layard kümmern, Sandra in ein Flugzeug setzen und zusehen, was wir für den armen Trevor Jordan tun können. Wir sollten ihn so schnell wie möglich hier wegbringen. Eine große Entfernung zwischen ihm und dem Vampir sollte dessen Einfluss verringern. Aber auch das hängt wohl davon ab, wie weit uns die hiesigen Behörden entgegenkommen. Darum kümmern wir uns morgen. Im Augenblick bin ich schon froh, wenn wir diese Nacht überstehen.«
»Ach, das werden wir bestimmt«, meinte Darcy.
»Du bist also ganz ... ruhig?«
»Ruhig? Nein, bestimmt nicht. Aber es gibt nichts, was mir im Augenblick auf unerklärliche Weise zu schaffen macht.«
»Gut.« Und dann fügte Harry noch hinzu: »Es ist sehr praktisch, dich in der Nähe zu haben, Darcy Clarke.«
Sandra sagte gar nichts. Sie schlief bereits.
Auch Harry schlief. Er schlief in kurzen, unruhigen Intervallen, nie länger als zehn oder fünfzehn Minuten am Stück. Jedenfalls die ersten paar Stunden. Aber gegen Morgen hin gewann seine Erschöpfung die Oberhand, und sein Schlaf wurde tiefer. Und endlich konnten die Toten, die sein waches Bewusstsein nicht mehr erreichten, Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Die erste war seine Mutter, deren Stimme von weit her zu ihm herüberdrang, schwach wie ein Flüstern auf der Brise des Traums: Haaaarrry! Schläfst du, mein Sohn? Warum antwortest du mir nicht, Harry?
»Ich ... ich kann nicht, Mutter!«, keuchte er. Er befürchtete, einen Schraubstock um sein Gehirn zu spüren und Säure, die sich in seine Gehirnwindungen fraß. »Das weißt du doch. Wenn ich versuche, mit dir zu reden, dann wird er mir wehtun. Nicht er selbst, aber das, was er mir angetan hat.«
Aber du sprichst doch mit mir, mein Sohn! Du hast es nur wieder vergessen, wie immer. Nur wenn du wach bist, können wir nicht miteinander reden. Aber nichts kann uns daran hindern, wenn du träumst. Du hast von mir nichts zu befürchten, Harry. Du weißt, ich würde dir nie wehtun. Nicht absichtlich.
»Ich ... ich erinnere mich jetzt«, murmelte Harry, noch nicht ganz überzeugt. »Aber was für einen Sinn hat das schon? Wenn ich aufwache, werde ich mich nicht mehr an das erinnern, was du mir gesagt hast. Das tue ich nie. Es ist mir
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