ENTSEELT
sie alles, was es zu wissen gibt. Alles? Ich weiß nicht einmal ein Zehntel davon. Aber ich weiß, je näher man an den Ursprung kommt, an die ursprünglichen Wamphyri, desto wirksamer werden die verschiedenen Gifte. Knoblauch stößt sie ab. Sein Gestank beleidigt ihre Nasen, so wie Mist die unseren beleidigt. Ihnen wird davon übel. Auf Starside bestreicht Lardis Lidesci seine Waffen mit Knoblauchöl. Ein Vampir, der von einer so behandelten Waffe getroffen wird – Messer, Schwert oder Pfeil, es spielt keine Rolle –, leidet Höllenqualen. Oftmals muss der infizierte Körperteil abgestoßen und ein neuer an dessen Stelle ausgebildet werden.«
Darcy und Sandra sahen sich entsetzt an, sagten aber nichts.
»Dann wäre da Silber«, fuhr Harry fort. »Das ist Gift für sie, so wie Blei oder Quecksilber für uns. Das ist überhaupt eine Idee: Wir sollten uns diese komischen griechischen Brieföffner zulegen – die bestehen aus Silber oder sind silberbeschichtet. Darcy, hast du diese Bolzen gesehen, mit denen ich meine Armbrust bestücke? Die bestehen aus Hartholz, sind mit Knoblauchöl gewachst und haben in Silber getauchte Spitzen. Und frag mich bitte nicht, ob ich das ernst meine. Auf Starside schwören die Traveller auf diese Dinger und bleiben deswegen am Leben.«
Starside!, dachte Darcy und sah Harry an. Die fremdartige Parallelwelt der Vampire. Er hat sie gesehen, er war da und ist von dort zurückgekommen. Er kennt das alles. Und jetzt sitzt er hier, ein Mensch wie du und ich, und versucht uns diese Dinge zu erklären. Und trotzdem wird er nicht wütend auf uns und er bricht auch nicht zusammen und geifert und tobt. Und er gibt nie auf.
»Vampire.« Allein das Wort erregte Sandra, obwohl sie es verabscheute. »Erzähl von ihnen, Harry. Sicher, ich weiß, es steht alles in den Akten im Hauptquartier des E-Dezernats in London. Aber es ist etwas anderes, wenn du es erzählst. Du weißt so viel über sie, und doch erklärst du immer wieder, du wüsstest so wenig.«
»Ich werde euch die wenigen Dinge erzählen, die ich sicher über sie weiß. Sie sind verschlagener, als es sich die menschliche Vorstellung ausmalen kann. Sie sind ausnahmslos alle Lügner, die es in fast jedem Fall vorziehen zu lügen, statt die Wahrheit zu sagen, es sei denn, sie erhalten dadurch etwas, was von erheblichem Wert für sie ist. Es gelingt ihnen immer wieder hervorragend, jedes Argument zu verdrehen, doppeldeutige und sinnlose Rätsel zu konstruieren, Wortspiele, Denkspiele, Paradoxe, falsche Vergleiche und irreführende Parallelen zu verwenden. Sie sind ungeheuer eifersüchtig, heimlichtuerisch, stolz und besitzergreifend. Und was ihre Zähigkeit angeht, die Art, wie sie sich an das Leben beziehungsweise ihren Untod klammern, so sind sie die widerstandsfähigsten Kreaturen, die man sich nur vorstellen kann.
Ihr Ursprung liegt in den Vampirsümpfen östlich und westlich des Zentralmassivs, das die Sternseite und die Sonnenseite trennt. Der Legende nach kommen sie zu bestimmten Zeiten als monströse Schnecken oder Egel hervor, die sich an Menschen und Tieren festsaugen. Wie viel Intelligenz sie in diesem Stadium besitzen – wer weiß? Aber ihre Zähigkeit besitzen sie von Anfang an. Sie ernähren sich vom Blut ihres Wirtes und gehen eine schreckliche Symbiose mit ihm ein. Der Wirt wird dabei verändert, körperlich und geistig. Der Vampir selbst ist geschlechtslos und nimmt das Geschlecht seines Wirtes an. Und in diesem Wirt – oder der Wirtin – fördert der Parasit die Gier nach Blut, die sie schließlich beide am Leben erhält.
Ich sagte bereits, dass der Wirt körperlich verändert wird. Das stimmt auch; Vampirfleisch unterscheidet sich von unserem. Es hat die Fähigkeit, sich zu regenerieren. Wenn der Wirt einen Finger, einen Arm oder ein Bein verliert, dann bildet der Vampir diesen Körperteil neu aus, wenn man ihm die Zeit dazu lässt. Das ist nicht so ungewöhnlich, wie es zunächst klingt. Seesterne können das sogar noch besser. Wenn man einen Seestern durchschneidet und ins Meer zurückwirft, dann wird aus jedem der beiden Teile ein neues Tier. Ähnliches passiert mit einem Gecko, der seinen Schwanz verliert, oder einem Bandwurm, von dem man einen Teil abschneiden kann, der aber immer wieder nachwächst. Doch ein Vampir ist kein Bandwurm. Lesk der Vielfraß, ein wahnsinniger Wamphyri-Lord, hatte im Kampf ein Auge verloren. Er ersetzte es dadurch, dass er in seiner Schulter ein neues wachsen ließ.
Wenn der Vampir in
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