ENTSEELT

1672 von einem gehörnten Ehemann erschossen worden war!
    Sommer 1976: In wenigen Monaten wird Harry seinen neunzehnten Geburtstag feiern. Er bewohnt eine bescheidene Dachgeschosswohnung in einem alten dreistöckigen Haus an der Küstenstraße, die von Hartlepool nach Sunderland führt. Vielleicht ist es bezeichnend für ihn, dass das Haus direkt gegenüber von einem der ältesten Friedhöfe der Stadt liegt ... so gehen Harry nie die Gesprächspartner aus. Mehr noch, jetzt, wo sich seine Gabe als Necroscope voll entwickelt hat, kann er sogar über große Entfernungen mit verstorbenen Personen kommunizieren. Er muss nur einem der zahllosen Toten vorgestellt werden oder sich einmal mit ihm unterhalten haben, und kann danach immer wieder mit ihm in Kontakt treten. Für ihn ist es jedoch eine Frage der Höflichkeit, sie persönlich aufzusuchen, das heißt, sie an ihren Gräbern zu besuchen. Er hält nichts davon, sich mit seinen Freunden durch Brüllen zu verständigen.
    Die toten Menschen ihrerseits lieben Harry, nicht zuletzt, weil er sie wie Freunde behandelt. Er ist ihr Leuchtturm, das einzige strahlende Licht in ihrer ewigen Dunkelheit. Er bringt Hoffnung, wo es zuvor keine gegeben hat; er ist ihr Fenster, der einzige Ausblick auf eine Welt, mit der sie schon abgeschlossen hatten und die für sie unerreichbar war. Denn im Gegensatz zum Glauben der Lebenden ist der Tod nicht das Ende, sondern nur ein Übergang zur Unkörperlichkeit, zur Reglosigkeit. Das Fleisch mag schwach und vergänglich sein, doch der Geist besteht weiter. Große Maler visualisieren auch nach ihrem Tod wundervolle Meisterwerke, Bilder, die sie nie malen können; Architekten planen fantastische, makellose, Kontinente umspannende Städte, die nie gebaut werden; Wissenschaftler forschen weiter an den Projekten, die sie im Leben verfolgt haben, aber nicht abschließen oder vervollkommnen konnten. Aber jetzt, durch Harry, können sie miteinander in Kontakt treten, und – was vielleicht noch wichtiger ist – sogar von den Ereignissen in der körperlichen Welt erfahren. Und so, auch wenn sie ihn nie damit belasten würden, sind all die Probleme und Sorgen von Harrys zahllosen Freunden auch die seinen, so wie seine Sorgen die ihren sind. Und Harry hat eine Menge Sorgen.
    Wenn er nicht gerade arbeitet, verbringt Harry seine Zeit in Hartlepool mit seiner Kindergartenliebe Brenda, die bald schwanger und seine Frau werden wird. Aber als seine gesellschaftlichen Pflichten zunehmen, wird eine Last aus seiner Vergangenheit zu einer Besessenheit. Harry träumt und denkt nur noch an seiner arme ermordete Mutter, und kehrt immer wieder in seinen düstersten Alpräumen an den vereisten Fluss zurück, in dem sie viel zu früh den Tod fand. Schließlich beschließt er, Rache an seinem Stiefvater Viktor Shukshin zu nehmen.
    Bei dieser Aufgabe, wie bei vielen anderen, stehen ihm die Toten zur Seite. Mord ist ein Verbrechen, das sie nicht hinnehmen können. Da sie die Finsternis des Todes kennen, ist ihnen jeder, der vorsätzlich ein Leben beendet, ein Gräuel!
    Im Winter 1976 sucht Harry Shukshin auf und konfrontiert ihn mit Beweisen der Tat. Sein Stiefvater ist zweifellos gefährlich, vielleicht auch wahnsinnig, und Harry muss befürchten, dass er jetzt versuchen wird, auch ihn zu töten. Im Januar 1977 gibt er ihm dazu eine Gelegenheit. Sie laufen zusammen Schlittschuh auf dem Fluss, aber als Shukshin seinen Mordversuch unternimmt, ist Harry vorbereitet. Sein Plan misslingt jedoch – sie brechen beide ins Eis ein und werden zusammen ans Ufer gespült. Der Russe hat die Kraft eines Wahnsinnigen, und es scheint, als könnte er seinen Stiefsohn ertränken ... Doch dann erhebt sich Harrys Mutter aus ihrem feuchten Grab und zieht Shukshin mit sich in die Tiefe!
    Und Harry hat damit eine neue Gabe entdeckt; oder besser, er hat jetzt erfahren, wie weit die Toten gehen, um ihn zu beschützen – er weiß, dass sie sich tatsächlich für ihn aus ihren Gräbern erheben!
    Harrys Fähigkeiten sind nicht unbemerkt geblieben: Eine streng geheime britische Sicherheitsbehörde, das E-Dezernat (E für extrasensorisch), und deren sowjetisches Gegenstück sind beide über seine Kräfte informiert. Kaum ist die britische Organisation an ihn herangetreten, um ihn anzuwerben, da wird ihr Leiter von dem rumänischen Spion und Nekromanten Boris Dragosani ermordet. Dragosani ist ein dämonischer Nekromant, der Leichen öffnet, und aus ihrem Blut und ihren Eingeweiden alles Wissen dieser