Entsorgt: Thriller (German Edition)
ihnen. Aufmerksam, ständig die Witterung prüfend, drehen sie beim geringsten Geräusch den Kopf in meine Richtung. Ich will aufspringen und mein Schwert ziehen, zumindest ein paar von ihnen plattmachen. Doch der Lärm würde noch mehr von ihnen anziehen, und ich wäre schnell erledigt. Immer und immer wieder musste ich bewegungslos ausharren und beten, sie nicht so nervös gemacht zu haben, dass sie kommen und nachsehen würden. Schließlich ging ich mehr und mehr Risiken ein, ließ es regelrecht drauf ankommen, weil ich so langsam vorwärtskam. Aber ich habe es tatsächlich bis zum Parkplatz der Fabrik geschafft, ohne dass es zu einem einzigen Zusammenstoß gekommen ist. Ich bin gesund. Ich bin stark. Ich habe Waffen und Skills. Bis zur Morgendämmerung sind es nur noch ein oder zwei Stunden. Jetzt muss ich bloß noch einen Zugang zur Fabrik finden.
Der Moment ist perfekt. Besser, als ich ihn mir jemals erhofft hätte.
Ray Wade speicherte das Spiel auf seiner Memory Card und blickte auf die Uhr.
Heilige Scheiße.
Vier Uhr fünfundvierzig.
Die Dopeschwaden vermochten den fauligen Geruch, der im Haus herrschte, kaum zu überdecken, und seine Augen waren rot und wund. Wie üblich quoll die Mülltonne über, und das nächtliche Starren auf den Bildschirm hatte seine Augen völlig ausgetrocknet. Vielleicht war es aber auch der immer schlimmer werdende Gestank von der Mülldeponie: ein giftiges Gas, wie die Zeitungen schrieben.
Morgen – okay, heute … später – wartete ein weiterer Tag mit Kursen und Vorlesungen auf ihn. Das hieß drei Stunden Schlaf, wenn er Glück hatte. Jenny war bereits vor ein paar Stunden zu Bett gegangen, gelangweilt, weil er sich nicht um sie gekümmert hatte. Entweder das, oder sie war einfach zu stoned gewesen, um wach zu bleiben. Ray rieb sich das Gesicht, legte den Controller beiseite und schaltete Konsole und Fernseher aus.
Er hatte immer noch eine Gänsehaut. Die Zombies in Zombie-Apocalypse jagten ihm eine Scheißangst ein. Vermutlich war er deshalb, und wegen der spannungsgeladenen Atmosphäre, die das Spiel schuf, so süchtig danach. Nichts entging ihrer Aufmerksamkeit, wenn sie wie Hunde in der Luft herumschnüffelten, ihre kranken, leuchtenden Augen ständig in Bewegung. Und die Art, wie sie angriffen, war gnadenlos. Und verdammt schnell waren sie noch dazu. Man konnte ihnen nicht einfach den Rücken zudrehen und davonspazieren. Wenn du dich einmal mit ihnen angelegt hattest, dann musstest du sie fertigmachen. Gott, wie gerne würde er diese Ficker sein Katana schmecken lassen.
Das war doch mal ein Grund, sich auf morgen Abend zu freuen.
Eigentlich war es ja heute Abend, oder? Er grinste in die nach Dope stinkende Dunkelheit seines winzigen Wohnzimmers. Nicht mehr lang, und er würde die Samuraiklinge tanzen lassen.
Das Baby gluckst: seine erste Gefühlsregung, abgesehen von der Entschlossenheit, die es demonstriert. Sofern man das überhaupt als Emotion bezeichnen kann. Weitaus energischer, als man es von einem Kleinkind annehmen würde, und voller Zuversicht, erklimmt es seinen kleinen gläsernen Hügel. Sie schwebt darüber, unfähig, ihm eine Warnung zuzurufen, so sehr sie es auch versucht. Das Wesen, das sie lenkt, erlaubt es ihr nicht, in diesem Moment einzugreifen. Es gestattet ihr bloß zu beobachten. Nein, das ist nicht wahr. Es gestattet ihr, jede Regung des pausbäckigen kleinen Knäuels mitzufühlen, so hartnäckig und dickköpfig in seinem Streben. Und sie hat bereits eine Ahnung von dem Schmerz, der da kommen wird.
Aber bloß eine Ahnung.
Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass Zeit an diesem Ort nicht existiert. Sobald sie hier ist, erkennt sie alles wieder. Wenn sie erwacht, weiß sie nur noch, dass sie all das schon einmal geträumt hat. Nur nicht, wie oft. Doch zurück im Traum ist ihr sofort bewusst, dass sie das Haus und das Baby schon tausendfach besucht hat. Hunderttausendfach. Nach und nach enthüllt sich ihr dabei der ganze Alptraum.
Er wird niemals enden.
Ein Quietschen und Krachen ertönt, während der Riss über die Glasscheibe kriecht. Das Glas gibt unter dem Gewicht des Babys nach, es stürzt hindurch. Sie ist direkt hinter ihm. In Zeitlupe sieht sie, mit welcher Leichtigkeit die Scherben dem Baby die ungeschützten Flanken aufschlitzen. Die Schnitte offenbaren ihre Wirkung langsam und mit Verzögerung, vielleicht weil es die ersten Wunden sind, die das Baby in seinem jungen Leben erleidet. Vielleicht aber auch bloß, weil das Wesen
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