Entsorgt: Thriller (German Edition)
Plastikstreifen. Die Arbeit geschah in fieberhafter Hektik und unter dem ständigen Druck irgendeiner dubiosen Deadline, die sich ihr nicht erschloss. Alle Beteiligten waren unfreundlich und gereizt, und sie hatte Angst, dass man ihr die mangelnde Erfahrung anmerkte. Offensichtlich fehlte es an Personal. Eine Visagistin rannte zwischen den sieben Mädchen hin und her. Ein völlig neben der Spur wirkender Junge ihres Alters wedelte mit Outfits in dünnen Schutzhüllen herum, die er von einem verchromten Kleiderständer nahm. Ihr war so kalt, dass sie ständig erigierte Nippel hatte, und sie wurde das Gefühl nicht los, dass die Fotografen ihre unangenehme Situation genossen. Sie hatte erwartet, dass das Team aus Italienern oder Franzosen bestand, doch stattdessen hörten sie alle auf Namen wie Grigor, Dobry und Janek.
Sie versuchte sich das Ganze als avantgardistisches Understatement schönzureden, aber im Prinzip war es einfach nur schäbig. Daran gab es nichts zu rütteln.
Es war erst ihre zweite Woche in London, und sie hatte bereits das Gefühl, seit mindestens zwei Monaten hier zu sein. Der Gestank der Stadt setzte sich in ihren Poren fest und ließ sich nicht mehr abwaschen, ganz gleich, wie kräftig sie schrubbte. Sie befand sich auf der alleruntersten Stufe der Leiter, und der Weg nach oben führte über die spitzen Hüftknochen und Ellbogen Tausender anderer Models. Jede einzelne ihrer Konkurrentinnen würde alles daransetzen, sie auszubremsen. Die Atmosphäre in der Garderobe war nicht kameradschaftlich und verständnisvoll, sondern frostig und zickig. Die meisten der Mädchen sprachen nicht einmal mit ihr. Voller Schreck stellte Aggie fest, dass sie auf dem besten Weg war, sich daran zu gewöhnen.
Gegen elf war das Fotoshooting vorbei. Aggie sah in ihrem Notizbüchlein nach Adresse und Uhrzeit des nächsten Termins. Keine Chance, das pünktlich zu schaffen. Sie hatte noch nicht gefrühstückt, und es blieb keine Zeit, sich irgendwo eine Kleinigkeit auf die Hand zu holen. Gott für ihre flachen Schuhe dankend, rannte sie aus dem Lagerhaus, preschte die Rolltreppe zur U-Bahn hinunter und erwischte gerade noch die District Line nach East Putney. Während der Fahrt suchte sie die Adresse auf dem Stadtplan und kam schließlich nach einem weiteren Sprint schweißgebadet dort an.
Die Location unterschied sich grundsätzlich von allen anderen, bei denen sie bisher gewesen war. Die Türklingel gehörte zum Obergeschoss eines sehr eleganten viktorianischen Stadthauses. Auf ihr Klingeln hin meldete sich zwar niemand an der Gegensprechanlage, aber sie hörte ein Summen und drückte die Tür auf. Im Treppenhaus führte ein vergitterter Aufzugschacht nach oben. Aus Angst, stecken zu bleiben, wagte sie es nicht, den altertümlichen Lift zu benutzen. Stattdessen rannte sie. Mal wieder.
Atemlos erreichte sie die Tür zum Obergeschoss und klopfte.
Nachdem einige Zeit verstrich, ohne dass sich etwas regte und sie gerade ein zweites Mal klopfen wollte, öffnete ihr eine kleine, dunkelhaarige Frau. Ihre Stimme war so blasiert wie ihr Auftreten.
»Hereinspaziert, Cherie«, sagte sie und trat zur Seite.
Endlich, französischer Akzent und anständige Räumlichkeiten.
Aggie folgte ihr in eine verschwenderisch ausstaffierte Wohnung. Überall hingen Gemälde und standen Skulpturen. Wo immer Platz war, sprossen tropische Pflanzen und Blumen aus opulenten Töpfen und Vasen. Aus einem Raum, den sie nicht sehen konnte, wehte eine ihr unbekannte verträumte Musik herüber.
»Gott, ist das schön«, sagte sie und bereute es auf der Stelle. Ihre Unerfahrenheit zu verbergen war eine der härtesten Lektionen, die diese Stadt sie gelehrt hatte.
Die Frau hob die Schultern, lächelte und bedeutete Aggie, sich tiefer in diese Karambolage von Kunst und Regenwald zu begeben.
»Die Tür zur Linken, Cherie.«
Als Aggie die Tür erreichte, stand die Frau urplötzlich direkt hinter ihr.
»Was kann ich dir zu trinken bringen?«
»Eine Tasse Tee wäre jetzt wirklich klasse. Mit Milch und zwei Stück Zucker bitte.«
Die zierliche Frau legte den Kopf zur Seite, wobei sich eine ihrer Brauen leicht kräuselte. Dann lachte sie.
»Du bist der Wodka-Typ«, sagte sie. »So etwas sehe ich sofort.«
Bevor Aggie protestieren konnte, verschwand sie den Korridor hinunter. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, drückte Aggie die Klinke und öffnete die Tür. Sie verstand nicht, was sie sah.
Der Raum war schwarz gestrichen. Eine
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