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ENTWEIHT

ENTWEIHT

Titel: ENTWEIHT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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aufgenommen hatten. In Wirklichkeit war die Witwe meine Großmutter und der Schwachkopf mein Onkel, auch wenn er es nie erfuhr. Die Geschichte, die meine ›Tante‹ – meine Großmutter – und meine Mutter ersonnen hatten, sollte nicht nur mich, sondern auch meine Mutter schützen!
    Aber wovor? Wie sieht die wahre Geschichte aus, eh? Nun, meine Mutter war eine geborene Castellano, gewissermaßen trug ich meinen Namen also zu Recht. Sie hieß Katrin und wurde schon in jungen Jahren Dienstmädchen in einem herrschaftlichen Haus in der Madonie, genauer: Le Manse Madonie hoch oben in den Bergen, gut sechzig Kilometer östlich von hier. Und ich war das Kind ihrer beiden Gebieter, zweier angesehener Brüder, die oben in ihrer Stätte lebten, die sich wie ein Adlerhorst direkt an den Rand des Abgrunds schmiegte. Es war der perfekte Wohnsitz für die beiden Francezcis, waren sie doch selbst gleichsam wie Raubvögel.
    Aber natürlich konnte ich nicht beider Kind sein, nicht wahr? Nein, selbstverständlich nicht. Aber so, wie die Dinge liefen, vermochte meine Mutter es nicht mit Gewissheit zu sagen! Sie hatten sie beide gehabt, von Zeit zu Zeit, wann immer es sie nach ihr gelüstete. Antonio und Francesco: Jeder von ihnen könnte mein Vater sein!
    Weshalb also versuchte meine Mutter nicht wegzulaufen, weshalb war sie nicht schon vor langer Zeit aus der Manse Madonie geflohen? Und weshalb floh sie jetzt nicht, um dort, wo ich versteckt war, für mich zu sorgen?
    Ah, meine Mutter war den Francezcis hörig, nicht minder als du mir, Garzia, vielleicht stand sie sogar noch tiefer in ihrem Bann. Denn wir sind, nun ja, ›Freunde‹ – zumindest kommen wir dem so nahe, wie unsere Natur es zulässt. Meine Mutter hingegen ... sie verabscheute die beiden Brüder, dennoch fühlte sie sich zugleich unwiderstehlich zu ihnen hingezogen, wie eine Motte zum Licht! Doch nach jeder Stippvisite, wenn die Gebrüder geschäftlich unterwegs waren und sie mich kurz besuchen kam, hasste sie es, mich mutterseelenallein zurückzulassen. In den ersten Jahren jedenfalls. Später verließen die Francezcis die Manse Madonie nur noch äußerst selten gemeinsam, und die Besuche meiner Mutter wurden weniger und weniger ...
    Ich sprach von Beziehungen. So, wie wir nun mal sind, kann es mehr für uns nicht geben, Garzia. Beziehungen! Aber waren wir je verliebt? Hatten wir jemals Herzklopfen wegen eines Mädchens oder gab es je eine Frau, die einem von uns mit ihrer Untreue das Herz brach? Nun, vielleicht waren wir hin und wieder verliebt, damals, als junge Männer in Amerika. Aber seither nicht mehr. Oder vielmehr seit dem ›Unfall‹, wie du es zu nennen pflegst, nicht mehr. Allerdings war es kein Unfall, Garzia; früher oder später musste es einfach so kommen, und eigentlich sollte es ja mir zustoßen und nicht dir. Das war der einzige Unfall: dass du es warst ...
    Aber ich schweife ab. Zurück zu meiner Geschichte: Als ich alt genug war, zu verstehen, was sie mir zuflüsterte – wenn auch noch viel zu jung, um die Bedeutung zu begreifen – erzählte mir meine Mutter so einiges. Oder vielmehr, sie sagte mir Dinge, die damals für mich keinen Sinn ergaben. Sie sprach von Blut: von einer furchtbaren Sache im Blut meines Vaters – eigentlich aller Francezcis – und dass es auch mich befallen könnte. Sie erzählte von einem ungeheuren Schatz in der Manse Madonie und von Kellergewölben, angefüllt mit unermesslichen Reichtümern. All diese Schätze, sagte sie, stünden mir als Erbe zu, doch zugleich machte sie sich Sorgen, ich könne noch etwas anderes geerbt haben. Oft spürte ich ihren gepeinigten Blick auf mir ruhen, aus großen Augen sah sie mich an, so als hätte sie Angst, einen merkwürdigen Makel an mir zu entdecken oder ein Krebsgeschwür, das sich heimlich in mir ausbreitete. Heute verstehe ich all dies selbstverständlich, aber damals … ich war doch bloß ein Kind!
    Ihre Gebieter, die Francezcis, seien alterslos, sagte meine Mutter. Sie seien ihre eigenen Väter ... gar ihre eigenen Großväter! Nun sag mir, Garzia, was sollte ein Kind im zarten Alter von fünf oder sechs Jahren damit wohl anfangen? Aber all ihren Kräften, ihrem Reichtum, ihren Dienern und dem riesigen Haus, der Manse Madonie, zum Trotz fürchteten sie das Sonnenlicht! Und indem sie das sagte, zerrte sie mich, wie um eine verrückte Theorie zu bestätigen oder zu widerlegen, nach draußen in die Sonne!
    Nun, vielleicht doch nicht ganz so verrückt, wie sich zeigte. Aber

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