ENTWEIHT
und wir mussten auf Tauchstation gehen; die Mafia zog ihre Fühler ein und verkroch sich (vorerst zumindest) in ihr Schneckenhaus. Don Carlo hatte nicht vor, irgendwelche jungen Heißsporne zu rekrutieren, unerfahrene Soldaten wie dich und mich.«
»Ja, das stimmt«, nickte Castellano. »Unser Blut war noch nicht erprobt, und doch brannte das meine wie Feuer in mir; es schoss durch meine Adern, bis ich es nicht mehr im Zaum halten konnte! Ich war einundzwanzig, gerade erwachsen geworden – mündig, wie man es damals nannte. Für mich war es das Jahr meines Aufstiegs , denn das Brennen in meinem Blut drängte mich dazu! Doch dieser alte Mann, dieser Don Carlo, wollte mich nicht hochkommen lassen. Als ob ich noch ein Kind gewesen wäre.«
»Nachdem die Amerikaner gelandet waren«, griff Nicosia den Faden auf, »saßt du gleich auf dem ersten Panzer, der von Süden her nach Palermo rollte, und zeigtest ihnen mögliche Widerstandsnester, darunter natürlich auch Don Carlos Haus. Auf deinen Rat hin jagten sie es in die Luft und ihn gleich mit!«
»Für unsere ›Befreier‹ wurde ich zum Helden«, kicherte Castellano. »Keiner durfte einen Finger gegen mich rühren, jedenfalls nicht solange die Amerikaner die Insel besetzt hielten, was noch eine ganz Zeit lang andauern sollte. Selbstverständlich wussten die übrigen Dons, wer Don Carlo Alcamo zu Fall gebracht hatte. Sie wussten es, vermochten aber nichts dagegen zu unternehmen. Ich (oder sollte ich vielleicht besser sagen: wir), wir wurden in den amerikanischen Militärbasen als Helden gefeiert wie die Fünfte Kolonne des sizilianischen Widerstands! Das gab uns einen Vorgeschmack der Macht. Wir kontrollierten den Schwarzmarkt und das Geschäft mit der Prostitution. Bei all den amerikanischen Truppen auf der Insel erwiesen sich beide Zweige als äußerst profitabel. Zwar gewannen die Dons nach und nach ihre Macht zurück. Aber wir waren im Geschäft. Von da an waren sie nicht mehr in der Lage, uns hinauszudrängen. Bis sie uns schließlich akzeptierten.«
»Von der alten Garde lebt heute keiner mehr«, sagte Nicosia. »Und die Jüngeren haben vergessen oder niemals gewusst, dass diese ›Heißsporne‹ von vor siebzig Jahren wir beide waren – immer noch sind ...«
»All dies zählt zu unserer Geschichte«, sagte Castellano. »Die meine hingegen ist noch nicht erzählt. Nicht von Anfang an. Vielleicht möchtest du sie ja noch einmal hören?«
»Unbedingt«, meine Nicosia. »Hilf meinem Gedächtnis auf die Sprünge. Deine Geschichte hat mich stets fasziniert.«
»Das sollte sie auch«, sagte Castellano. »Immerhin geht es ja auch um deinen Ursprung ...« Er schwieg eine Sekunde. »Findelkinder, sagtest du. Nun, in deinem Fall trifft das zu. In einer kalten Winternacht fand man dich, in eine zerrissene Decke gehüllt, auf einer Türschwelle in Nicosia, dem sizilianischen Dorf, nach dem du benannt bist: Du warst ein Findelkind, Garzia, ganz recht. Bei mir hingegen verhält es sich etwas anders.
Ich war nicht unbedingt ein Findling – ich wurde von keiner x-beliebigen Bauersfrau, die mich nach einem Seitensprung unter einem Olivenbaum oder im Stall irgendeines Ziegenhirten zur Welt gebracht hatte, auf einer Türschwelle meinem Schicksal überlassen, oh nein. Obwohl ich zugebe, dass ich ein Bastard war; und ich weiß, manch einer ist der Meinung, dass ich heute noch einer bin! Nun, wie dem auch sein mag, in meinem Werdegang gibt es keine eiskalte Türschwelle. Meine Mutter war ein junges Mädchen aus einer einst ehrbaren Familie, auch wenn sie zum Zeitpunkt meiner Geburt längst mittellos war.
Später begegnete ich ihr und lernte sie sogar kennen, und da versuchte sie mir zu erklären, weshalb sie mich verlassen hatte, oder vielmehr, welche Gründe sie dazu gezwungen hatten, mich heimlich bei Verwandten in Nicosia in Pflege zu geben, wo du und ich uns schließlich trafen und gemeinsam aufwuchsen. Doch während du den Namen der Siedlung bekamst, hatte ich einen eigenen. Ich war von Anfang an ein Castellano – auch wenn das gar nicht mein richtiger Name war! Hätte ich den Namen meines Vaters getragen, wäre alles ganz anders gelaufen.
Es wurde in Umlauf gebracht, ich sei der verwaiste Spross des genuesischen Zweigs der Castellanos; mein Vater sei bei einem Jagdunfall und meine Mutter bei meiner Geburt ums Leben gekommen. Meine einzigen noch lebenden Verwandten seien die sizilianische Witwe und ihr schwachsinniger, ansonsten aber harmloser Sohn, die mich
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