ENTWEIHT
ich denke, er hat sie bereut. Wenn nicht damals, dann jetzt ganz bestimmt. Aber das nimmt die Schuld nicht von mir.«
Im selben Augenblick fragte er sich stirnrunzelnd: Was zur Hölle ist mit mir los? Brauche ich jetzt etwa Absolution? Ich bin doch kein Katholik ... weder katholisch noch sonst irgendetwas! Sollte ich wirklich bedauern, was ich getan habe? Sollte ich tatsächlich um Vergebung bitten? Vielleicht bin das ja gar nicht ich, der sich das wünscht. Vielleicht ist es dieser andere, der Kerl, der seine ganz persönlichen Schwierigkeiten in meinem Kopf hinterlassen hat ...
Bah!, sagte Korath. Jake, ich nehme eine gewisse Schwäche in dir wahr. Man sagt ›Gewissensbisse‹ dazu. Dieses brutale Schwein hat deine Freundin vergewaltigt und anschließend ertränkt, und mit dir hätten sie dasselbe gemacht. Und was diesen Jean Daniel angeht: Er wollte dich überfahren und unter seinem Wagen zu Brei zerquetschen. Also wie kommt es, dass du dich dafür schämst, dass du ihn niederstrecktest? Auge um Auge, das darfst du niemals vergessen!
»Ich mich schämen?«, meinte Jake kopfschüttelnd. »Nein, ich bin mir nicht sicher, ob es Scham ist. Und Gewissensbisse – nun ja, sicherlich; aber das ist nicht alles. Korath, ich habe diesen Mann, diese Männer ermordet . Ob sie es verdienten oder nicht, ich habe es getan. Okay, ich bin nicht unbedingt religiös. Aber wenn ich kein Leben geben kann, was gibt mir dann das Recht, es zu nehmen? Und ebendies ist ein Teil des Dilemmas, in dem ich stecke. Einerseits weiß ich, dass ich es tun musste – und wieder tun würde und mit deiner Hilfe auch werde – andererseits macht es mich krank, damit leben zu müssen, mit der Tatsache, dass ich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens deshalb Albträume haben werde. Der größte Widerspruch allerdings besteht darin, dass ich all dies nur tat, um mich freizusprechen, meinen Geist von dem ungeheuren Hass zu reinigen, den ich für diese Bastarde empfand … und so langsam beginne ich mich zu fragen, was es denn überhaupt bringt, wenn ich mich letztlich nur selbst dafür hasse?«
Glücklicherweise, entgegnete Korath nach einer Weile, sind mir derart gemischte Empfindungen fremd. Wie auch die meisten anderen Gefühle wie Liebe, Mitleid und Selbstzweifel. In dir erkenne ich sie, weil ich mich noch irgendwie vage daran erinnere, aus der Zeit, als ich noch ein Junge war auf der Sonnseite, bis Malinaris Biss mich von derartigen Schwächen befreite.
»Von derartigen Schwächen?«
Abermals schüttelte Jake den Kopf. »Ich glaube, du siehst es verkehrt herum. Ebendarin besteht unsere Stärke. Ohne sie wären wir nicht besser als ...«
… als die Wamphyri? Korath hatte es in seinem Geist gesehen. Aber wenn das stimmt, weshalb fürchten starke Persönlichkeiten wie Trask sie dann so?
Lass mich versuchen, dir ein paar Dinge zu erklären, fuhr Korath fort, während Jake noch nach einer Erwiderung darauf suchte, und wenn ich fertig bin, dann widersprich mir, falls du kannst:
Liebe ist eine Sache, die Männer zermürbt; sie macht sie dem Objekt ihrer Zuneigung gegenüber gefügig. Bedeutendere Wesen hingegen werden von ihrer Lust getrieben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen! Verzicht und Mitleid machen Menschen arm – sodass sie in den Augen ihrer Gegner an Ansehen verlieren – Habgier und Rachsucht dagegen verleihen ihnen Macht und lassen Männer von geringerem Kaliber auf der Hut sein. Und es liegt doch auf der Hand, dass man einen Mann, der niemandem vertraut, auch nicht hintergehen kann! Denn während Vertrauen und Freundschaft oftmals zu Verrat führen, gründet sich Überleben auf Misstrauen, Neid, Missgunst und ausgeprägtes Territorialverhalten. Ein gutes, empfindsames Herz ist zumeist auch zart im Geschmack, ein Herz voller Gift hingegen schmeckt bloß nach dem Eiter, der es schlagen lässt! Nachsicht lässt das Gesinde auf der faulen Haut liegen, Furcht hingegen sorgt dafür, dass es auch spät noch auf dem Posten ist und über den Schlaf seines Gebieters ...
»... Genug!«, sagte Jake.
Eh? Genug? Ich habe doch kaum angefangen!
»Und nun kommst du zum Ende. Genug mit deinen Wortspielen.«
Aber meine Argumentation war keineswegs als Wortspiel gedacht, das versichere ich dir! Von Anbeginn – seit den Tagen Shaitans – haben die Wamphyri nach diesen Grundsätzen gelebt und …
»Und sind auch danach gestorben«, sagte Jake. »Vergiss nicht, Korath, es war ein Mensch – und ein äußerst menschlicher obendrein – vor dem
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